Skalieren

engl. scaling, franz. mettre à l’échelle f; bezeichnet eine in der Regel von 0 bis 10 aufsteigende Reihe von Zahlen mit einem willkürlich gesetzten Nullpunkt, die im beraterischen (Beratung) oder therapeutischen (Therapie) Kontext dazu dient, die Wahrnehmung von Klienten im Sinne einer Komplexitätsreduktion diesen bestimmten Zahlen zuzuordnen, um eine Möglichkeit zum Dialog über Unterschiede zu schaffen. Die Generierung und Beschreibung von Unterschieden ist eines der basalen Instrumente systemtherapeutischen Denkens und Handelns. Skalieren dient jedoch nicht nur der »Messung« der Wahrnehmung der Klienten, sondern auch der Motivation und Ermutigung (Berg u. de Shazer 1988, S. 152). Dabei wird mittels der Skalierungsfragen nicht nur nach Wahrnehmungen in Bezug auf die eigene Person gefragt, sondern der systemische Kontext (System) wird explizit mit einbezogen (»Wem würde eine Änderung auffallen?«). Im Rahmen der radikalen Unterscheidung zwischen Problem und Lösung, die in binärer Opposition zueinander verstanden werden (de Shazer 1989), besteht die Konsequenz darin, baldmöglichst vom Problemgespräch in ein Lösungsgespräch zu wechseln. Skalieren wird dann als eine Technik verwendet mit der Absicht, einen Übergang vom Problem- zum Lösungsgespräch anzubahnen und in der Folge das Lösungsgespräch aufrechtzuerhalten. Daher ergibt es aus systemtherapeutischer Perspektive Sinn, Skalieren nur zur Implementierung und Aufrechterhaltung von Lösungsgesprächen zu verwenden (und nicht von Problemgesprächen).


Skalierungsfragen werden als eine der »fünf«« nützlichen Fragesorten lösungsorientierter (Lösungsfokussierung) Therapie beschrieben (Berg u. Miller 1993). Die anderen vier nützlichen Fragesorten sind Fragen, die eine Beschreibung der Veränderung vor der Sitzung zum Ziel haben, die Wunderfrage, die Fragen nach Ausnahmen und die Fragen nach Bewältigung (Berg u. de Shazer 1988, S. 152). In Theorie und Praxis hat sich eine Skala von 0 bzw. 1 bis 10 durchgesetzt, wobei die 0 bzw. 1 als Punkt definiert wird, zu dem sich der Klient zur Therapie angemeldet hat, und nicht als Punkt, bei dem die Situation für den Klienten am schlimmsten war. 10 steht auf der Skala für denjenigen Zustand, der angestrebt wird. Der Klient ordnet seine Wahrnehmung einer Zahl auf der Skala zu, und anhand der Zuordnung entwickelt sich ein Dialog zwischen Therapeut und Klient darüber, welche Bedeutung der Klient seiner Zuordnung beimisst. So kann sich ein Gespräch über die genannte Zahl im Unterschied zum Nullpunkt entspinnen (»3 ist mehr als 0, was hat sich seit der Anmeldung verändert?«), oder es können zwei Nennungen miteinander verglichen werden (»5 ist mehr als 4, wie haben Sie es geschafft, von 4 auf 5 zu gelangen?«). So dient das Skalieren auch der Exploration von Ressourcen, und die gewonnenen Informationen schaffen die Möglichkeit der Utilisation beobachteter Veränderungen. In einer weiteren Variante können auch Hypothesen (Hypothetisieren), die die Zukunft betreffen, entwickelt werden (»Heute schätzen Sie sich auf 3 ein, was müsste bis zum nächsten Treffen passieren, damit sie sich auf 3,5 oder 4 einschätzen würden?«). De Shazer und Dolan (2008, S. 102) empfehlen, die Skalierungsfrage zügig an die Wunderfrage anzuschließen. Skalierungsfragen können durch ihre sehr vielen Anwendungsmöglichkeiten Zugang zu nahezu allen Wahrnehmungen der Klienten ermöglichen. Das kann Folgendes betreffen: die Selbstachtung, die Änderungen vor der Sitzung, das Selbstvertrauen, den Einsatz für Veränderungen, die Bereitschaft hart zu arbeiten, um die gewünschten Veränderungen zu erreichen, die eigene Hoffnung oder die Evaluation von Fortschritten; es kann auch eine Rangreihe der zu lösenden Probleme erstellt werden (Berg 1992). Selbstachtungsskalen, Selbstvertrauensskalen, Motivationsskalen, Copingskalen oder Beziehungsskalen lassen sich als Variationen unterhalb des Metakonzeptes Skalieren verstehen. De Shazer und Berg (1988, S. 148 f.) vertreten die Ansicht: »Sprache ist Realität«, eine Position, die sich auch als »interaktioneller Konstruktivismus« verstehen lässt. Zu den im therapeutischen Gespräch herausgearbeiteten Bedeutungen gelangt man in einem Prozess, der mehr Ähnlichkeit mit einer Verhandlung habe als mit dem Verstehen und Aufdecken dessen, was »wirklich« geschehe. Hierbei setzt das Skalieren als eine Technik der Komplexitätsreduktion bei einer gleichzeitigen und kontinuierlichen, für Therapeuten und Klienten gleichermaßen transparenten Evaluation durch einen Bedeutungsabgleich deutliche Akzente.


Skalieren dient jedoch nicht nur der Exploration von Unterschieden in der Wahrnehmung mittels der Zuordnung zu unterschiedlichen Skalenwerten, sondern unter einer Mehrebenenperspektivität stellt Skalieren eine Verbindung dar, die es ermöglicht, durch Bewertungen über die Ebene von beobachtbaren und beschreibbaren Verhaltensweisen und Fähigkeiten hinaus auf die Ebene von Glaubenssystemen, Wertvorstellungen und auf die Ebene von Identität zu gelangen (Vogt-Hillmann, Dreesen u. Eberling 1998, S. 29). Neben der klassischen Zahlenskalierung, die häufig visuell durch das Aufzeichnen einer Skala unterstützt wird, werden ebenfalls verwendet imaginierte Skalierungen in Form von Farben oder Treppenbildern, auditive Skalierungen oder Walkingscales, bei denen etwa durch ausgelegte Kärtchen Veränderungen begehbar werden (ebd., S. 25 f.). Für die therapeutische Arbeit mit Kindern werden als kindgerechte Formen von Skalieren u. a. Erfolgstürme, Luftballons, Seile zum Entlanggehen oder Himmel-und-Hölle-Hüpfspiele vorgeschlagen (Steiner u. Berg 2006, S. 132 ff.). Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Skalieren in alle Bereiche systemischen Arbeitens wie Beratung, Therapie, Organisationsentwicklung und Supervision Einzug gehalten hat. Methodisch ist zu bedenken, dass ein zu schneller Wechsel vom Problem- zum Lösungsgespräch mittels Wunderfrage und Skalieren zu dem Gefühl führen kann, dass das Leid (Schmerz, Trauer) des Klienten nicht anerkannt wird; de facto sind die Schaffung eines Raums für das Problem und seine Würdigung jedoch ein vitales Element des lösungsfokussierten Therapiekonzepts (Berg u. de Shazer 2008, S. 215). Insgesamt lässt sich das Skalieren nicht als eine einfache Technik (Intervention) therapeutischen oder beraterischen Handelns verstehen, sondern sie entfaltet erst eingebettet in eine kunden-, kontext-, ziel-, zukunfts- und lösungsorientierte Haltung der therapeutischen Gesprächsführung ihr sprach- und damit wirklichkeitsveränderndes Potenzial.


Verwendete Literatur


Berg, Insoo Kim (1992): Familien-Zusammenhalt(en). Dortmund (Modernes Lernen), 9. Aufl. 2010.


Berg, Insoo Kim u. Scott D. Miler (1993): Kurzzeittherapie bei Alkoholproblemen. Ein lösungsorientierter Ansatz. Heidelberg (Carl-Auer), 7. Aufl. 2009.


Berg, Insoo Kim u. Steve de Shazer (1988): Wie man Zahlen zum Sprechen bringt. Die Sprache in der Therapie. Familiendynamik 18 (2): 142–162.


de Shazer, Steve (1989): Wege der erfolgreichen Kurzzeittherapie. Stuttgart (Klett-Cotta).


de Shazer, Steve u. Yvonne Dolan (2008): Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute. Heidelberg (Carl-Auer), 2. Aufl. 2011.


Steiner, Therese u. Insoo Kim Berg (2006): Handbuch lösungsorientiertes Arbeiten mit Kindern. Heidelberg (Carl-Auer), 5. Aufl. 2011.


Vogt-Hillmann, Manfred, Heinrich Dreesen u. Wolfgang Eberling (1998): Zwischen Tiefpunkt und Höhepunkt: Skalieren von Unterschieden, die Unterschiede machen. Zeitschrift für systemische Therapie 16 (1): 20–30.


Weiterführende Literatur


De Jong, Peter u. Insoo Kim Berg (2003): Lösungen (er)finden – Das Werkstattbuch der lösungsorientierten Therapie. Dortmund (Borgmann), 5., verb. u. erw. Aufl.


Szabó, Peter u. Insoo Kim Berg (2006): Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung. Dortmund (Borgmann).