Informationen

engl. information, franz. information f; ist im systemtheoretischen Verständnis »a difference which makes a difference«, also ein Unterschied in der Welt, der einen Unterschied für den Systemzustand desjenigen → Systems macht, um das es geht. Diese Definition stammt von Bateson (1972, S. 315) und wurde von Luhmann (1984, S. 102 ff.) übernommen.
Aber was heißt das: »a difference that makes a difference«? Der Gegenbegriff wäre erst mal: »a difference that doesn’t make a difference«, also ein Unterschied, der von den internen → Informationsprozessierungsroutinen des Systems wegnivelliert wird. Z. B. macht der Unterschied zwischen Eingangsstempel »1. April« und »30. April« keinen Unterschied, wenn Bewerbungsschluss am 30. April ist. Oder der Unterschied zwischen 25 und 30 Grad Außentemperatur macht keinen Unterschied für die Frage, welche Kleidung ich anziehe, der Unterschied zwischen 15 und 20 Grad aber
schon.
Information ist also nicht einfach ein Weltsachverhalt, sondern ein Ereignis: und zwar ein systemrelatives Ereignis. Information kommt zustande, wenn irgendein Datenbit aus der Welt von einem System nach eigenen Unterscheidungen beobachtet wird und dazu führt, dass das System in seinem Operieren bestimmte Pfade wählt und andere ausschließt. Deshalb ist Information grundsätzlich nicht wiederholbar – wenn sie einmal im System angekommen ist, macht es keinen Unterschied mehr, wenn sie noch dreimal gesagt wird. Außer: Irgendwann beginnt man der Wiederholung selbst einen Informationswert abzugewinnen (oder auch nicht), etwa: Bei der zwanzigsten Wiederholung einer Bitte oder eines Vorwurfs des Partners begreift man, dass es ihm wirklich wichtig ist (oder auch nicht).
Eine Information setzt also im Normalfall einen gewissen Input an Daten von außen voraus (obwohl auch Selbstbeobachtung [→ Beobachtung] und Selbstinformation möglich ist), wird aber trotzdem zu wesentlichen Anteilen im System konstruiert. Denn erstens muss das System die Daten lesen können und überhaupt Aufmerksamkeit auf diesen Teil der Welt richten. Zweitens ist die Frage, was das System mit diesen Rohdaten anfängt, nicht durch die Daten selbst bestimmt, sondern durch das System und seine Strukturen. Denn eben: Der Unterschied zwischen 15 und 20 Grad ist nicht objektiv größer als der zwischen 25 und 30 Grad, sondern wird nur durch meine subjektiven Empfindlichkeiten und Wohlfühlgrenzen zu einem relevanteren. In der Welt der Wirtschaft gilt ähnlich, dass ein Steigen des Aktienkurses um 5 € mal eine gute und mal eine schlechte Nachricht sein kann, je nach dem, welche → Erwartungen vorher bestanden haben – wenn Analysten einen Anstieg um 7 € prognostiziert haben, kann ein Anstieg um 5 € eine Katastrophe sein.
Technischer: Man braucht Unterscheidungen, um die Welt zu lesen, aber welche Unterscheidungen benutzt werden, ist Sache des Systems. Die → Umwelt kann allenfalls festlegen, welche Seite einer Unterscheidung (oder welcher Punkt auf einer Skala) markiert wird, aber dass überhaupt diese Unterscheidung (oder diese Skala) benutzt wird und keine andere, liegt nicht in der Umwelt, sondern im System. Deshalb ist Information immer eine → Konstruktion des Systems.
Anders gesagt: Erst durch systeminterne Unterscheidungen wird → Irritation zu Information. Irritation ist das, was von außen kommt – Umweltreize jeder Art. Diese bleiben aber unbestimmt, bleiben bloße Störung oder Rauschen, die diffuse Meldung »etwas ist los«, solange sie nicht in Informationsverarbeitungsroutinen des Systems eingespeist werden. Information ist das, was das System daraus macht. Die Umwelt kann das System nur irritieren, nicht informieren (Luhmann 1986; 1990)
Mit internen Unterscheidungen kann man auch negativen Sachverhalten Information abgewinnen, also Sachverhalten, die als positives »Faktum« in der Welt gar nicht bestehen und nur vor der Folie einer Erwartung als Unterlassung, als Fehlen, als Lücke erkennbar werden. Man kann dann z. B. sagen: »Angela Merkel hat in 16 Jahren Amtszeit keinen einzigen ihrer Verwandten in ein Staatsamt gehievt« – wenn man vor einer entsprechenden Erwartungsfolie erwartet, wonach die Versorgung von Verwandten mit Staatsposten normal ist. Oder man kann sagen: »In der ersten Auflage dieses Lexikons fehlt der Begriff ›Information‹« – wenn man über ein entsprechend feines Unterscheidungs- oder Kategorienschema systemischer Begriffe verfügt, das es einem ermöglicht, genau diesen Begriff zu vermissen und nicht gleichzeitig beliebige andere Begriffe wie »Informalität«, »Indien« oder »Insel«.
Soweit es um → Kommunikation geht, kommt die zusätzliche Schwierigkeit hinzu, dass mehrere Systeme beteiligt sind, nämlich mindestens zwei psychische Systeme und das soziale System der Kommunikation selbst, die jeweils für sich Informationsprozessoren sind. Die psychischen Systeme beobachten je nach ihren eigenen Unterscheidungsrastern, die nur teilweise übereinstimmen, und auch das Kommunikationssystem selbst ist ein eigenes, partiell undurchsichtiges System mit eigenen Komplikationen und Limitationen. Eine Information kann vom Sender gemeint sein und der Intention nach abgeschickt werden, beim Empfänger aber nicht ankommen. Oder umgekehrt: Der Empfänger kann Informationen aus der Kommunikation herauslesen oder in sie hineinlesen, die vielleicht gar nicht drin waren, vielleicht aber auch nur gut getarnt und/oder unbewusst waren. Um festzustellen, was »wirklich« gewesen ist, welche Information in dem kommunikativen Akt »wirklich« enthalten gewesen ist und welche nicht, steht kein anderes Mittel zur Verfügung als wiederum Kommunikation (Kieserling 1999).
Manchmal liegen Engpässe der Informationsverarbeitung bei den beteiligten psychischen Systemen, in deren kognitiven oder emotionalen Durchlässigkeiten. Manchmal liegen sie aber auch in sozialen Systemen: etwa in → Organisationen, die an alten, einmal erfolgreich gewesenen Informationsverarbeitungsstrategien festhängen und deshalb neue Entwicklungen nicht zur Kenntnis nehmen (Kühl 2021) oder in Interaktionssystemen wie Team- oder Gremiensitzungen, die nur so viel → Komplexität verarbeiten können, wie in der zur Verfügung stehenden → Zeit und mit den begrenzten Mitteln der mündlichen Kommunikation bewältigt werden kann, egal wie viel die beteiligten psychischen Systeme wissen, verstehen und durchdacht haben mögen (Luhmann 1975).
In der systemischen Praxis wird man Systeme immer auch als Informationsprozessoren beobachten. Etwa: Wie hoch ist die Informationsdichte kommunikativer Sequenzen? Es gibt nahezu informationsfreie Kommunikation, bei der es nicht um den Inhalt, sondern um die → Beziehung geht, um das Festigen, Bestätigen, Zelebrieren einer Beziehung. Dazu gehört etwa manche → Paarkommunikation, wo längst bekannte Sachverhalte zum x-ten Mal durchgesprochen werden (»Weißt du noch?«, »Das regt mich immer so auf, die Annette immer ihrem …!«), oder Ansprachen von Bundespräsidenten (»Wir müssen jetzt alle zusammenhalten!«), oder mancher Talk in Organisationen, wo Werte und Zusammenhalt beschworen werden (»Flexibilität!«, »Agilität!«, »Ganzheitlichkeit!«).
Oder: Welche Teilnehmer oder Teilnehmerinnen benutzen welche Informationsverarbeitungsstrategien, und in welchem Maß können sie einander verstehen? In Paaren etwa geht oft viel Information verloren, die vom Sender mit mehr oder weniger geeigneten Mitteln abgeschickt, vom Empfänger aber nicht decodiert wird, sondern im Datenmüll der »Unterschiede, die keinen Unterschied machen« landen. Der systemische Berater bzw. die Beraterin kann dann verstärkend intervenieren und nachfragen (»Haben Sie das gehört?«), oder er kann versuchen, die jeweiligen Decodierungsregeln der Partner und Partnerinnen diesen wechselseitig durchsichtig zu machen. In Organisationen lesen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Informationen oft ganz anders, nach anderen, nüchterneren Codierungsregeln, als sie von den ausgebenden Stellen gemeint sind (vgl. dazu den wunderbaren Dokumentarfilm von Losmann 2011).
Aber natürlich auch: Welche Informationsverarbeitungsstrategien teilt das ganze System, welche gelten im System als alternativlos? Man mag hier vielleicht auf rigide Entweder-oder-Schemata stoßen (»Entweder du hast die Macht oder ich«, »Entweder wir halten alle ganz eng zusammen oder wir fallen als Familie auseinander«), oder auf Annahmen darüber, was ein → Problem und was eine → Lösung ist. Der systemische Praktiker bzw. die Praktikerin seinerseits bzw. ihrerseits wendet dann die Unterscheidung Problem/Lösung an mit der für ihn charakteristischen Drehung, dass »die Lösung das Problem ist« (Watzlawick 1987). Auch das ist ein Fall von systemspezifischer Informationsverarbeitung: Die aus der Umwelt kommende Irritation »Das ist unsere Lösung« wird in die Information umgewandelt: »Achtung, wichtiger Hinweis auf das Problem, um das es geht«.
Verwendete Literatur
Bateson, Gregory (1976): Steps to an ecology of mind. Chicago (University of Chicago Press).
Kieserling, André (1999): Kommunikation unter Anwesenden. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).
Kühl, Stefan (2021): Organizations: A Short Introduction. Princeton (Organizational Dialogue Press).
Losmann, Carmen (2011): Work hard – play hard. HUPE Film.
Luhmann, Niklas (1975): Interaktion, Organisation, Gesellschaft, in: ders. (Hrsg.): Soziologische Aufklärung 2. Opladen (Westdeutscher Verlag), S. 9–20.
Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).
Luhmann, Niklas (1986): Ökologische Kommunikation. Opladen (Westdeutscher Verlag)
Luhmann, Niklas (1990): Das Erkenntnisprogramm des Konstruktivismus und die unbekannt bleibende Realität. In: ders. (Hrsg.): Soziologische Aufklärung 5. Opladen (Westdeutscher Verlag), S. 31–58.
Watzlawick, Paul (1987): Wenn die Lösung das Problem ist. Vortrag. Stuttgart (SWF).