Jugendliche

engl. teenager, franz. les jeunes m/f. Der Begriff »Jugendliche« ist wissenschaftlich nicht eindeutig definiert. Nach deutschem Recht sind junge Menschen von 14 bis 18 Jahren Jugendliche im Unterschied zu Kindern (bis 14 Jahre) und Heranwachsenden (von 18 bis 21 Jahren). »Jugend« ist ein Wort aus der Alltagssprache, das nach Schäfers et al. (2005) eine von der Kindheit und dem Erwachsenenleben unscharf unterschiedene Lebensphase benennt und Annahmen über besondere Verhaltensmuster und Eigenschaften nahelegt, die als jugendtypisch gelten. Man kann jedoch von keiner homogenen Sozialgruppe (Gruppe) sprechen: Die Jugendlichen gibt es nicht. Jugendlliche bilden innerhalb unserer Gesellschaft ein heterogenes Subsystem (System). Ihre Entwicklung ist abhängig von personalen und sozialen sowie materiellen Ressourcen als den für die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben relevanten Kontextfaktoren. Wenn in der Psychologie von Adoleszenz (lat. adolescere = »heranwachsen«) gesprochen wird, liegt nach Fend (2001) der Fokus auf den Besonderheiten der psychischen Gestalt und des psychischen Erlebens im Rahmen eines Entwicklungsmodells. Ist von Pubertät die Rede, steht die körperliche (Körper) Entwicklung zur Geschlechtsreife Jugendlicher im Vordergrund.


Die systemische Beratung und Therapie ist aus der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen entstanden, deren Symptome (Symptomträger) besser in den relevanten Bezugssystemen als in einer Individualtherapie (Individuum) behandelt werden konnten. Systemkompetenz in der Arbeit mit Jugendlichen heißt konsequenterweise, sie in ihrem Sozialsystem, in ihrem Kontext als Bedeutungshintergrund ihrer Symptome gender- und kultursensibel zu begleiten (Bauer u. Hegemann 2008). Die bedeutendsten Bezugssysteme für Jugendliche sind ihre Familie oder im stationären Bereich die Wohngruppe sowie die Gruppe der Gleichaltrigen (Peergroup).


»Systemische Therapie mit [...] Jugendlichen ist notwendigerweise netzwerkorientiert und multisystemisch angelegt« (Retzlaff 2008).


Im familiären Lebenszyklus lösen sie sich von ihren Eltern (Elternschaft). Innerfamiliäre Beziehungen verlieren und außerfamiliäre gewinnen an Bedeutung. Beim Blick auf die Interaktionen von Jugendlichen sind nicht so sehr ihre biologischen Veränderungen, sondern eher die Reaktionen darauf relevant. Alte Verhaltensmuster passen nicht mehr, neue müssen erst entwickelt werden. Da die Lebenssituation von Jugendlichen vor allem von dieser Instabilität gekennzeichnet ist, kommen Krisen in dieser Phase vermehrt zum Vorschein. Nach Ludewig (2001) verlangt es diese Lebensphase, ein Höchstmaß an Ungewissheit und Konfliktgeladenheit auszuhalten und so viel Lernfähigkeit und Anpassungsvermögen zu erbringen, wie in keiner anderen. »Daher eignet sich diese Lebensphase einerseits besonders für das Auftreten aller möglichen Auffälligkeiten«, auch »die Folgen kindlicher Traumata [...] werden häufig im Jugendlichenalter manifest, ebenso die Folgen unglücklicher physiologischer Ausstattungsmerkmale« (Trauma). Andererseits schaffen Jugendliche oft ungewöhnliche und von der Erwachsenenwelt unerwartete (Erwartung) Entwicklungen.


Die praktische systemische Arbeit mit Jugendlichen basiert auf denselben handlungsleitenden Paradigmen wie die systemische Beratung und Therapie mit Erwachsenen. Sie respektiert die Autopoiesis von Systemen. »Die systemische Therapie besteht [...] nicht darin, Menschen direktiv zu verändern. Sondern darin, einen Kontext zu schaffen, der zu Veränderungen einlädt und Entwicklungsschritte begünstigt« (Retzlaff 2008). Das bedeutet zunächst vor allem Ankoppeln (Kopplung) an den Lebenswelten der Jugendlichen durch die Gestaltung kooperativer Arbeitsbeziehungen und Entwickeln passender Methoden. Dabei ist besonders zu beachten, dass Jugendliche in den seltensten Fällen eigeninitiiert aufgrund eigenen Problembewusstseins in eine Therapie oder Beratung kommen, sondern meist auf Veranlassung Dritter wie Eltern, der Lehrkräfte oder Jugendämter. Jugendliche müssen für die Arbeit gewonnen und ihre Veränderungsmotivation muss gefördert werden. Hierbei sind hohe Gesprächsführungskompetenzen gefragt oder spezielle, lösungsorientierte (Lösung) Motivationsprogramme für Jugendliche wie z. B. Ich schaffs! – Cool ans Ziel, wo mit dem Motto gearbeitet wird: »Lernen gelingt am besten mit Spaß, mit Motivation und gemeinsam mit anderen!« (Bauer u. Hegemann 2008). Denn


»Therapiemotivation ist offenbar kein ›Ding‹, das tief im Menschen schlummert, bis es ihm beliebt, seinen ›Besitzer‹ in die Therapie zu bewegen, sondern ein kontextuelle Größe, die sich entwickelt und die sich von außen beeinflussen [im Sinne von irritieren; C. B.] lässt« (Liechti 2010).


Ziel systemischer Arbeit mit Jugendlichen ist es, Ressourcen aus der vergangenen Kindheit und aus der angestrebten zukünftigen Erwachsenenwelt nutzbar zu machen, die den Jugendlichen helfen, aktuelle Probleme zu bewältigen oder besser damit umzugehen. Dabei wurde der bekannte – meist sprachlastige – Methodenpool aus der Arbeit mit Erwachsenen im Rahmen der systemischen Kinder- und Jugendlichentherapie und auch der angewandten systemischen Sozialen Arbeit durch umfangreiche, auf die jeweilige Altersgruppe abgestimmte Methoden bereichert. Bewährt haben sich kreative Methoden mit Seilen, Symbolen, Figuren, Stiften und Papier, der Einsatz von Metaphern und Humor, die Arbeit mit Musik oder anderen Medien. Anleihen wurden auch aus Bereichen wie soziale Gruppenarbeit, Sozial-, Theater-, Erlebnispädagogik, Hypnotherapie, Gestaltarbeit und NLP (neurolinguistisches Programmieren) genommen.


Verwendete Literatur


Bauer, Christiane u. Thomas Hegemann (2008): Ich schaffs! – Cool ans Ziel. Das lösungsorientierte Programm für die Arbeit mit Jugendlichen. Heidelberg (Carl-Auer), 3. Aufl. 2012.


Fend, Helmut (2001): Entwicklungspsychologie des Jugendalters. Opladen (Leske & Budrich).


Liechti, Jürg (2010): Dann komm ich halt, sag aber nichts. Motivierung Jugendlicher in Therapie und Beratung. Heidelberg (Carl-Auer), 2. Aufl.


Ludewig, Kurt (2001): Junge Menschen lügen nicht, Erwachsene dagegen sehr. In: Rotthaus, Wilhelm (Hrsg.): Systemische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Heidelberg (Carl-Auer), 3. Aufl. 2005, S. 162–185.


Retzlaff, Rüdiger (2008): Spiel-Räume. Lehrbuch der Systemischen Therapie mit Kindern und Jugendlichen. Stuttgart (Klett-Cotta).


Rotthaus, Wilhelm (Hrsg.) (2001): Systemische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Heidelberg (Carl-Auer), 3. Aufl. 2005.


Schäfers, Bernhard et al. (2005): Jugendsoziologie. Wiesbaden (VS).


Weiterführende Literatur


Bonney, Helmut (2003): Kinder und Jugendliche in der familientherapeutischen Praxis. Heidelberg (Carl-Auer).


Vogt, Manfred (2002): Lösungen im Jugendstil. Dortmund (Borgmann).