Kopplung

engl. coupling, franz. couplage m, von lat. copula = »Band, Verbindung«; bezeichnet in einem engeren, bereits auf die Systemtheorie bezogenen Sinne die Leistung einer Beobachtung, der es gelingt, Elemente so in Beziehung zu setzen, dass ihr Zusammenhang gleichzeitig als Abhängigkeit und Unabhängigkeit bestimmt ist.


Der Begriff der Kopplung ermöglicht es, plastische Verhältnisse zu beschreiben, die zugleich durch Momente der Selbstständigkeit, Autonomie einerseits und durch solche der Unselbstständigkeit, der Umgebungsabhängigkeit andererseits geprägt sind. Bezugsproblem (Problem) dieser Verweisungsform konstruiert die Systemtheorie vor allem (a) auf der Ebene der Medien (»Wie ist Formenbildung möglich?«) mittels der Unterscheidung von loser und strikter Kopplung und (b) auf der Ebene der System-Umwelt-Beziehungen (»Wie sind, mit Blick auf die operationale Geschlossenheit von Sozialsystemen bzw. psychischen Systemen, Umweltabhängigkeit und Autopoiesis zugleich möglich?«) mittels der Unterscheidung von operationaler und struktureller Kopplung.


(a) Lose/strikte Kopplung: Wie ist Formenbildung möglich? Mit dem Aufgriff von Denkfiguren des englischen Mathematikers George Spencer-Brown (Spencer-Brown 1997) versteht die neuere Systemtheorie unter einer Form die Hervorhebung (Markierung, Indizierung) einer der zwei Seiten einer Unterscheidung. Die Möglichkeit der (Um-)Bildung von Formen ist dabei zum einen gebunden an den stets durch jede Formung mit erzeugten Verweisungsüberschuss von Sinn (Erwartung), d. h., jede Auswahl verbirgt zugleich nicht aktualisierte Möglichkeiten. Zum anderen aber an die Möglichkeit der Formen, wieder zu zerfallen, ohne dass sich dadurch die Möglichkeit zukünftiger bzw. erneuter Formbildungen verbrauchte. Das auf Vorschläge des Psychologen Fritz Heider (1896–1988) lose zugreifende Theoriestück der Unterscheidung von Form und Medium erlaubt es, diese Bedingungen der Möglichkeit von Formbildung mithilfe des Kopplungsbegriffs zu bearbeiten. Der Begriff des Mediums setzt massenhaft mögliche, gleichartige Elemente voraus, die durch nichts als durch ihre Gleichartigkeit »zusammenbeobachtet« und insofern: lose gekoppelt sind. Ein Beispiel für lose gekoppelte Elemente eines Mediums sind etwa die Artikulationsschemata zur Hervorbringung von Lauten. Systeme prägen in Medien Formen ein, indem sie einige Elemente des Mediums strikt (fest) verkoppeln. Die »Bauart« der Elemente ermöglicht und beschränkt die Spielräume ihrer Kopplung. So beschränkt, um im Beispiel der Lautsprache zu bleiben, die Phonologie der deutschen Lautsprache den Spielraum erwartbarer Morphemproduktionen. Zugleich aber ist das Medium neutral in Bezug auf die Auswahl der möglichen Formen. Formen, z. B. Wörter, die nicht mehr aufgegriffen werden, »versanden«. Formbildungen sind, in dieser Perspektive, die vorübergehend durchgesetzte Produktion der Unterscheidung und Heraushebung strikter Kopplungen von/vor anderen, auch möglichen, noch losen Kopplungen ansonsten gleichartiger Elemente.


(b) Strukturelle/operationale Kopplung: Wie sind Umweltabhängigkeit und Autopoiesis zugleich möglich? Die Annahme operationaler Geschlossenheit autopoietischer Systeme schließt aus, dass System und Umwelt bzw. andere Systeme in der Umwelt des Systems direkt aufeinander einwirken bzw. aus sich heraus in die Operationen des anderen Bereichs hinüberwirken können. Zudem prozessieren System und Umwelt stets gleichzeitig – das System wartet nicht auf die Umwelt und umgekehrt, sodass sich die Frage stellt, wie da ein systematisches »Reagieren« auf Turbulenzen in der Umwelt möglich ist. Für die Beantwortung dieser Frage steht die u. a. auf Arbeiten des Biologen Humberto Maturana zurückgehende Unterscheidung von struktureller und operationaler Kopplung bereit. Der Ausdruck operationale Kopplung bezeichnet die Formenverkettung, durch die sich das System laufend selbst reproduziert. Die Rede von der strukturellen Kopplung zielt auf das Konzept der Ko-Evolution ab: Strukturelle Kopplung eines Systems an seine Umwelt bedeutet, dass sich das beobachtete System auf Dauer auf einige Ereignisse in seiner Umwelt (z. B. auf Leistungen anderer Systeme in seiner Umwelt) einstellt und seine eigene Struktur daran ausrichtet. Kommunikation etwa rechnet mit Bewusstsein und umgekehrt. Diese wechselseitige Selbstanpassung vollzieht sich durch je systemeigene Formenbildung (in Medien, die genau solche Formbildungen zulassen, ja erzwingen), die vom jeweils anderen System als relevantes Umweltereignis registriert wird, als Irritation, als Auslöser, worauf wiederum mit systemspezifischer Formenbildung reagiert wird: Geschieht Relevantes dort, geschieht auch etwas hier und umgekehrt. Theoriearchitektonisch tritt somit strukturelle Kopplung an die Stelle klassischer Kausalerklärungen. Autopoietische Systeme vollziehen im oben genannten Sinne strukturelle Kopplung nicht trotz, sondern durch operationale Kopplung in dafür geeigneten Medien struktureller Kopplung. Das allgemeinste, universale Medium struktureller Kopplung ist Sinn, also die Einheit von Aktualität (Form) und mitlaufender, nie zur Ruhe kommender Möglichkeit (Medium). Je nach Bezugsproblem werden spezifischere Binnenformen von Sinn beobachtet. Organisationen können z. B. Verträge als Formen struktureller Kopplungen benutzen, Erziehungssystem und Bildungseinrichtungen können sich durch Zertifikate und Zeugnisse koppeln, Politik- und Wirtschaftssystem durch Steuern usw. Im Falle der Beobachtung struktureller Kopplung von psychischen und sozialen Systemen spricht man von Interpenetration, die für Interpenetration grundlegenden Kopplungsmedien sind die Lautsprache und die Schrift.


Der heuristische Gewinn der Unterscheidung der verschiedenen Kopplungstypen zeigt sich z. B. in den Möglichkeiten, Strukturen in Organisationen oder Familiensystemen zu beschreiben (Simon 2009). Sind die Personen oder Stellen und Handlungsprogramme fest gekoppelt wie in einem Familienbetrieb oder eher lose? Wie viel lose Kopplung verträgt die Beziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer? Welche Medien ermöglichen welche Kopplung und welche Formen(muster) versprechen gelingende Kopplungen in Beratung und Therapie?


Verwendete Literatur


Fuchs, Peter (2004): Der Sinn der Beobachtung. Weilerswist (Velbrück).


Heider, Fritz (2005): Ding und Medium. Berlin (Kadmos).


Luhmann, Niklas (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).


Maturana, Humberto (1998): Biologie der Realität. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).


Simon, Fritz B. (2009): Einführung in die systemische Organisationstheorie. Heidelberg (Carl-Auer), 3. Aufl. 2011.


Spencer-Brown, George (1997): Die Gesetze der Form. Lübeck (Bohmeier).


Weiterführende Literatur


Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).