Schule
engl. school, franz. école f, von lat. schola = ursprüngl. »freie Zeit, Nichtstun, Muße«, später: »Studium, Vorlesung«, ist ein institutioneller Ort des Lernens und Lehrens, an dem Lehrer und Lehrerinnen sowie Schüler und Schülerinnen ihrer Bildungs- und → Erziehungsaufgabe nachkommen. Zu erwerbendes bzw. erworbenes Wissen und Können sollen dazu beitragen, bestimmte Karriereoptionen im → Lebenslauf zu ermöglichen. Schule als Teil des Erziehungssystems (→ System; → Erziehen) leistet Bildungs- und Erziehungsfunktionen in der → Gesellschaft. Schule verspricht, zukünftige → Kommunikation, die an sich unwahrscheinlich ist, wahrscheinlich machen zu können. Das Vermittelte und Erworbene soll im Lebenslauf soziale Positionen, Karriereaussichten und Teilhabechancen (→ Inklusion; → Partizipation) disponieren. Schule setzt hierfür Bildungs- und Erziehungsprogramme in Form von Lehr- und Lernplänen um. Die → Funktionen und Leistungen beziehen sich u. a. auf Qualifikation und Selektion. Schule operiert entlang des Codes »besser/schlechter«, wodurch sich in vergleichender Weise schulischer Erfolg bestimmt (Luhmann 2002).
Die Vorstellung, durch Schule Veränderungen in psychischen Systemen auszulösen, rechnet mit der Irritabilität (→ Irritation) psychischer (→ Psyche) Systeme durch → Interaktionen zwischen Lehrern und Lehrerinnen sowie Schülern und Schülerinnen. Aufgrund der operationalen Geschlossenheit ist aus systemtheoretischer Sicht allerdings keine instruktive Lehre mit eindeutig erwartbarem (→ Erwartung) Ergebnis auf Schülerseite möglich (»Technologiedefizit«; Luhmann u. Schorr 1982). Mit dem systemtheoretischen Theorieelement → Selbstreferenz kann Lernen – jenseits trivialer Vorstellungen von Kausalität– als Selbstlernen verstanden werden. Schule unter Gesichtspunkten systemischer → Organisationstheorie (Simon 2009) zu beobachten, führt zu der Frage, inwieweit sie in der Lage ist, auf der Grundlage formalisierter Erwartungsstrukturen, autonome (→ Autonomie) Entscheidungen zu treffen. Angesichts der Dominanz des Top-down-Handelns von staatlicher Seite ist Schulentwicklung als Differenzierung von Erwartungen und Entscheidungen nur begrenzt möglich. So werden z. B. die Mitgliedschaftsregeln, die finanziellen Zuwendungen und die Bildungsprogramme – zumindest an Regelschulen in Deutschland – nicht durch die Schulen selbst bestimmt. Bildungsdiskussionen, Ganztagsschulprogramme und schulbezogene sozialräumliche Ansätze in der Sozialen Arbeit (bzw. Jugendhilfe) führen zu veränderten → Kopplungen zwischen Schule und ihrer → Umwelt, sowie zu einer Verschiebung der Grenzen des Schulischen. Bei Kooperationen über Institutions- und Professionsgrenzen hinweg gewinnen Fragen nach der Zuständigkeit für verschiedene Bildungsformen an Bedeutung.
Welche systemischen Methoden sich in der Arbeit in und mit der Schule am besten eignen, hängt davon ab, ob sie zu den Adressaten und Adressatinnen, den → Zielen und den → Auftragslagen passen. Die Klärung des professionellen → Kontextes ist notwendig. Die Wirklichkeit von Unterrichtssituationen, Lebenslagen, → Familiendynamiken und Schülergruppendynamiken (→ Gruppe) werden von Lehrern, Schulleiterinnen, Sozialpädagogen, Schulpsychologinnen in Abhängigkeit von ihrer Theorie, ihrem → Beobachtungsstandort, ihrem → Rollenverständnis und ihrem institutionellen Rahmen konstruiert. Unterschiedliche Eigenlogiken treffen kontrovers aufeinander, wenn es um Verantwortlichkeiten für Schulentwicklung, fachdidaktische Ausgestaltung des Unterrichts, Schullaufbahnberatung (→ Beratung), Diagnostik (→ Diagnose) von Lese-Rechtschreib-Schwäche oder → Beratung von Familien geht. Aufgrund der → Komplexität in der Professionellendynamik kann ein gekonntes Auftrags-, Kontrakt- und Adressatenmanagement (→ Management) als Kernstück systemischer Handlungskompetenz in der Arbeit in bzw. mit Schulen gelten. Systemische Praxis anerkennt die spezifischen zeitlichen (→ Zeit), sachlichen und sozialen Eigensinnigkeiten (→ Sinn) der unterschiedlichen Systeme und rechnet respektvoll mit ihrer → Selbstreferenz. Die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Professionen bedarf der Informiertheit über die Strukturen im jeweiligen »Fremd«-System und der Analyse typischer Interaktionskonstellationen in der Arbeit mit Klientensystemen. In destruktiver Weise können z. B. triangulierende Konfliktdynamiken (→ Konflikt) zwischen Lehrern und Lehrerinnen, Schulsozialarbeitern und -arbeiterinnen und Eltern (→ Elternschaft) entstehen, wenn Verantwortung vereinseitigt wird. Statt parteinehmenden Kausalitätskonstruktionen (→ Konstruktion) favorisiert systemisches Arbeiten in und mit Schule Zirkularität in Diagnostik und Hypothesenbildung (→ Hypothetisieren) sowie bei der → Interventionsplanung und -umsetzung.
Aus der Perspektive systemischer Schulpädagogik kann gefragt werden, wie Lehrer und Lehrerinnen Lernumwelten für Schüler und Schülerinnen gestalten. Als Ko-Evolution verstandenes Lernen beschränkt sich nicht auf sachlich-inhaltliche Aspekte in der fachdidaktischen Unterrichtung von Stoff, sondern bezieht zeitliche und soziale Dimensionen ein. Dies gilt sowohl für die Gestaltung und Reflexion der Lehrer-Schüler-Interaktion als auch bezüglich sonstiger Schülerumwelt (Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, Freunde und Freundinnen etc.). Ein breites Bildungsverständnis, das – neben formellen Bildungsprozessen in formalen Settings – auch informelle und nichtformelle Lernformen berücksichtigt, ist anschlussfähig an systemische Pädagogik: → Kinder und → Jugendliche lernen, wann und wie immer sie in nicht üblicher Weise Sinn erfahren. Schulische Pädagogik ist dabei gefordert, über den Kontext der Bewertung des Begabungs- und Leistungsniveaus der Schüler und Schülerinnen hinaus Lernfelder und -gelegenheiten mit den Schülern und Schülerinnen zu modellieren und zu reflektieren. Systemische Kompetenz kennzeichnet die Verbindung strategischen und situativen Könnens mit den Anforderungen des Unterrichtens.
Begriffe wie → Schulverweigerung oder »Schulstören« sind aus systemischer Sicht sprachliche Konstruktionen. In der systemischen Praxis werden Beobachtungen und Beschreibungen von Verhaltensauffälligkeiten sozial (re-)kontextualisiert und relationiert. Durch die (Re-)Konstruktion von Sinn (z. B. Schulverweigerung als jugendliche Autonomiebekundung) und durch die Mitarbeit an der Inklusivität von Schule bearbeitet systemische Sozialarbeit Schulverweigerung jenseits therapeutischer (→ Therapie) Optimierung von Schülerverhalten (Hosemann u. Geiling 2013).
Verwendete Literatur
Hosemann, Wilfried u. Wolfgang Geiling (2013): Einführung in die Systemische Soziale Arbeit. München (Ernst Reinhardt/UTB), 2., überarb. Aufl. 2021.
Luhmann, Niklas (2002): Das Erziehungssystem der Gesellschaft. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).
Luhmann, Niklas u. Karl E. Schorr (1982): Das Technologiedefizit der Erziehung und die Pädagogik. In: dies. (Hrsg.): Zwischen Technologie und Selbstreferenz: Fragen an die Pädagogik. Frankfurt a. M. (Suhrkamp), S. 11–40.
Simon, Fritz B. (2009): Einführung in die systemische Organisationstheorie. Heidelberg (Carl-Auer), 3. Aufl. 2011.
Weiterführende Literatur
Luhmann, Niklas u. Karl E. Schorr (1979): Reflexionsprobleme im Erziehungssystem. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).
Palmowski, Winfried (2007): Nichts ist ohne Kontext – Systemische Pädagogik bei Verhaltensauffälligkeiten. Dortmund (Borgmann), 2. Aufl. 2010.