Person
engl. person, franz. personne f, von lat. persona = »Maske«, wörtlich »eine als Handlung zugeschriebene → Funktion« (distinctio) in äußeren, öffentlichen Verhältnissen (habitus), gelegentlich auch im repräsentativen Sinne (caput); im weiteren Sinne das wählbare und gestaltbare, daher einerseits nach generalisierten Maßstäben verantwortlich zurechenbare und andererseits unverwechselbar individualisierende (Individuum) Element einer Dramaturgie des Sozialen, der eigensinnige Gegenstand einer vergleichend urteilenden → Beobachtung, also die theatralische Interpretation eines rechtlichen und moralischen → Problems (schon im 13. Jh. diffus synonym mit → Rolle, Maske, Fassade, Figur, Charakter, Persönlichkeit, → Individuum); im weitesten Sinne das Paradox (→ Paradoxie) des wandelbaren Wesens bzw. der vielgestaltigen Singularität; daher engl. neben person, role bzw. character und face auch personality und individual, franz. neben personne auch personnalité f und neben caractère m und rôle m auch tête f bzw. individu m.
Der Begriff der Person stellt in der soziologischen → Systemtheorie eine Spezifikation des → Erwartungsbegriffs dar. Grundbegriffliches Niveau beansprucht er nicht. Im → Kontext der Theorie kommentiert er neben dem Erwartungsbegriff bzw. dem Begriff der doppelten (rekursiven) → Kontingenz vor allem den Begriff der »strukturellen« → Kopplung bzw. der »konditionierten Ko-Produktion« von psychischen (→ Psyche) und → Sozialsystemen bzw. von Bewusstsein und → Kommunikation (Luhmann 1995, S. 153; Fuchs 2003, S. 33). Auch der Begriff der Person bezeichnet demnach eine Strukturform der → Gesellschaft. »Eine Person wird konstituiert, um Verhaltenserwartungen ordnen zu können, die durch sie und nur durch sie eingelöst werden können«, definiert Luhmann (1984, S. 429) und ergänzt: Der Begriff der Person ist bestimmt als »individuell attribuierte Einschränkung von Verhaltensmöglichkeiten« (Luhmann 1995, S. 148). Der Unterschied zum Begriff der Erwartung, aber auch zum Begriff der Rolle liegt folglich in der Festlegung auf »individuelle Zurechnung«. Damit weicht der systemtheoretische Personenbegriff sowohl von der Fassung ab, die ihm Talcott Parsons mittels der Unterscheidung von Verhaltenssystem, personalem, sozialem und telischem System gegeben hat (Parsons 1978; vgl. Parsons a. White 1964), als auch von der Fassung, die er durch Max Webers Unterscheidung von sachlich-unpersönlicher Regel und Person – meist rezipiert als Unterscheidung von Amt und Person – erhalten hat (Weber 1920). Das systemtheoretische Begriffsverständnis bleibt zwar beidem verbunden durch die Erinnerung daran, dass von der Person nur in sozialer Systemreferenz die Rede sein kann, mag man diese auch weiter spezifizieren als (mit Parsons’) Differenz von Bewusstsein, Organismus und Gesellschaft oder (mit Weber) als Differenz von Bürokratie bzw. → Organisation und Gesellschaft. Wer es mit Personen zu tun hat, hat es unvermeidlich mit »hoch aggregierte[n] Systemreferenzen« zu tun (Luhmann 1984, S. 182). Luhmanns Verständnis der Person als »prekäre[r] kommunikative[r] Existenzweise« – als »Erwartungsdisziplin« im Sinne der »Einschränkung von Verhaltensrepertoires«, also des Verzichts auf erratische oder idiosynkratische oder inkonsistente Selbstdarstellung (Luhmann 1995, S. 149 f.) – ist überdies zwar nah an Weber formuliert, zumal auch er diese Beobachtungslage eher melancholisch als programmatisch beschreibt (Gleiches gilt bekanntlich für Parsons’ »human condition«). Aber die größere Nähe hat sein Begriff der Person doch zu den Analysen, die Erving Goffman unter dem Problemtitel der Arbeit an der »Fassade« und der »Rollendistanz« erarbeitet hat (Goffman 1961; 1968) und die in jüngerer Zeit Anschluss gefunden haben in Harrison C. Whites Begriff der in »Disziplinen« organisierten kommunikativen »Stile«, zu denen auch die Person zählt (White 1992, insbes. pp. 196 ff.). Goffman geht es um die Möglichkeiten, die »instabile, zirkuläre Notlage der doppelten Kontingenz« (Luhmann 1995, S. 149) zum Aufbau einer möglichst facettenreichen, mithin möglichst variantenreichen und in diesem Sinne auch möglichst anpassungsfähigen Architektur des Selbst zu nutzen. Luhmann sucht nach Möglichkeiten des Aufrechterhaltens einer »Kontextur« (→ Kontext), die neben der taktvoll-disziplinierten Selbstbindung an eingeschränkte Verhaltensrepertoires auch Möglichkeiten des »Sich-selbst-Entkommen[s]« zu integrieren vermag (Luhmann 1995, S. 152, mit Gotthard Günther, u. S. 154). Diese »Kontextur« bestimmt er als Arbeit an der Differenz von situativ bestimmbaren Verhaltensmöglichkeiten einerseits (dem »Repertoire«) und unbestimmt bleibenden Verhaltensmöglichkeiten andererseits; als Kommunikation im »Formschema Person/Unperson« (ebd., S. 149). Dieses Schema ist der Grund dafür, dass »die Wertkarriere des Individuums« den Begriff der Person »mitreißt« (ebd., S. 147). Auf der Höhe grundbegrifflicher Unterscheidungen zweigt in der Systemtheorie hier die Unterscheidung von → Inklusion und → Exklusion ab, die das »Formschema Person/Unperson« auf das Problem komplex (→ Komplexität) strukturierter sozialer Systeme zurückbezieht und auch den Anschluss an das klassisch-soziologische Problem der Unterscheidung von positionaler Regel und Person leistet. Gelegentlich ersetzt daher in dieser Argumentation der Begriff »Adresse« den Begriff der Person (Fuchs 2003, S. 18 ff.), der die alte Verknüpfung von distinctio und habitus wiederaufnimmt und daran erinnert, dass das Problem der verlässlichen Unterscheidung von Person/Rolle einerseits (Legitimität einer zurechenbaren Verhaltenseinschränkung, mithin Zumutbarkeit eines Verhaltensrepertoires) und Person/Individuum andererseits (Auffindbarkeit einer zurechenbaren Verhaltenseinschränkung, mithin Rekrutierbarkeit eines Verhaltensrepertoires) in bürokratischen, formalisiert beobachtenden Kontexten entstanden war.
In diesem Zusammenhang ist es kein unwichtiges Detail, dass der Begriff des Images, den Goffman (1968) zur Beschreibung derselben kontextuellen Kommunikationsform einsetzt, ein klassischer Gegenbegriff der theatralen und laufend variablen Rolle ist: Stellt die persona ein im Zuge des Beobachtens und Beobachtetwerdens änderbares Bild dar, ein Bild, an dem gearbeitet bzw. mit dem gespielt werden kann, ist die imago der Name eines nichtlebenden Gesichts: einer Totenmaske, die dem Publikum den Anblick des Verfalls erspart, eine Art letzte Fassade also, die aufgeschminkte Larve eines selbst nicht an sich arbeitenden, daher selbst (das heißt: sein Selbst) nicht spielenden, sich vielmehr von diesem Selbst unter den Augen seiner Beobachter distanzierenden Individuums. Goffman setzt den Begriff sakralisierend ein, im Sinne einer Monstranz, die jeder Spieler vor sich halten muss, sodass Arbeit an der »Fassade« die Arbeit an der Differenz von persona und imago meint. Diese Differenz tritt bei Luhmann als Differenz von Person und Unperson auf. In beiden Varianten kann sie (als Differenz; bei Goffman: als »Distanz«, bei Luhmann: als »Form«) nur individuell attribuiert werden. Jede Kommunikation über Personalität trägt demnach zwei Indizes: Sie verweist unvermeidlich auf ein rollenförmiges, im genauen Sinne formales Schema, das Spiel und Arbeit am sozial erwarteten Selbst ebenso erlaubt wie erzwingt; und sie verweist unvermeidlich auf Individualität. Ersteres konstruiert soziale Vernetzungschancen, Letzteres erinnert daran, dass diese Chancen prekär sind.
Im systemischen Arbeiten in der Praxis ist vor allem die Möglichkeit, Personalität als auf- und abbaubare Fassade zu sehen, methodisch (diagnostisch, → Diagnose; und therapeutisch → Therapie) interessant. Denn diese begriffliche Festlegung macht die Beschränkungen formaler, regelhafter, sachlich-unpersönlicher Kommunikationsformen, wie sie sämtliche organisationalen Mitgliedschaften und sämtliche Komplementärrollenkonstellation verlangen, nüchterner Beobachtung zugänglich. Wie die soziale Lage, so ist auch das Selbst eine »Kontextur«, der gegenüber es keinen sicheren externen Beobachtungs- und Urteilsstatus geben kann und demgegenüber folglich Takt erforderlich (und auch möglich) ist. Die Definition der Person durch die Systemtheorie erlaubt der systemischen Praxis die sehr konkrete Arbeit an der Person in einem Sinne, der zeigt, wieso es nicht nur unvermeidlich, sondern eben auch möglich und unter Umständen sogar attraktiv ist, sich mit beschädigter → Identität (und nichts anderes als das ist Individualität) – etwa: als Fall – auf Kommunikation einzulassen.
Verwendete Literatur
Fuchs, Peter (2003): Der Eigensinn des Bewusstseins. Die Person, die Psyche, die Signatur. Bielefeld (Transcript).
Goffman, Erving (1961): Role distance. In: ders. (ed.): Encounters. Two studies in the sociology of interaction. Indianapolis (Macmillan), pp. 73–134.
Goffman, Erving (1968): On face work. An analysis of ritual elements in social interaction. In: Chad Gordon a. Kenneth J. Gergen (eds.): The self in social interaction. Vol. 1. New York (Wiley), pp. 309–325.
Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).
Luhmann, Niklas (1995): Die Form »Person«. In: ders. (Hrsg.): Soziologische Aufklärung 6. Opladen (Westddeutscher Verlag), S. 142–154.
Parsons, Talcott (1978): A paradigm of the human condition. In: ders. (ed.): Action theory and the human condition. New York (Free Press), pp. 352–433.
Parsons, Talcott a. Winston White (1964): The link between character and society. In: Talcott Parsons (ed.): Social structure and personality. New York (Cambridge University Press), pp. 183–235.
Weber, Max (1920): Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft. In: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen (UTB), 7. Aufl. 1988, S. 475–488.
White, Harrison C. (1992): Identity and control. A structural theory of social action. Princeton (Princeton University Press).
Weiterführende Literatur
Fuchs, Peter (2005): Die Psyche. Studien zur Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Weilerswist (Velbrück).
Goffman, Erving (1971): Das Individuum im öffentlichen Austausch. Mikrostudien zur öffentlichen Ordnung. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).