Intuition

engl. intuition, franz. intuition f, von lat. intuition = »Eingebung, ahnendes Erfassen«, aber auch »angeschaut werden«; schnelle Einschätzung, Einsicht, Erkenntnis ohne bewusste Herleitung oder Schlussfolgerungen.


Menschen bilden sich in Sekundenschnelle intuitive Urteile über Sachverhalte, Situationen und Menschen (Intuition als Vorgang). Die sich daraus ergebenden Intuitionen (als Ergebnis) steuern ihre Wahrnehmung, ihr Erleben und Verhalten, auch wenn sie sich ihrer nicht bewusst sind. In der systemischen (System) Konzeptbildung spielt Intuition erst neuerdings eine Rolle, z. B. beim hypnosystemischen Ansatz (Schmidt 2006) oder bei Steuerungskonzepten (Klein u. Kannicht 2007). Mental werden Eindrücke und Vorgänge aus den verschiedensten Wirklichkeitssphären (Körperreaktionen, Ausdruckserleben und Situationsvariablen) zu einem Urteil kombiniert, und so werden unmittelbar Überschaubarkeit und Handlungsfähigkeit der Intuierenden hergestellt. Ohne intuitive wechselseitige Abstimmung könnte zum Beispiel eine Fußballmannschaft nicht zusammenspielen. Funktioniert Intuition gut, dann können viele Faktoren blitzschnell in die jeweilige Situation integriert werden. Dazu wäre ein analytisches Bewusstsein überhaupt nicht in der Lage. Intuition beruht auch auf Wissen und Erfahrung. In anspruchsvollen Berufen braucht man geschulte professionelle Intuition, und sie sollte von einem geschulten professionellen Bewusstsein überwacht werden.


In vielen psychotherapeutischen (Psyche; Therapie) Schulen spielt Intuition eine wichtige Rolle. Z. B. entwickelte Berne (1991) die Transaktionsanalyse aus Intuitionsstudien. Dabei bezog er sich auf Ideen von Aristoteles. Danach ist Intuition ein Urteil über die Wirklichkeit, ohne dass man weiß, wie man das Urteil bildet. Häufig weiß der Urteilende nicht einmal, dass er urteilt und was als Ergebnis entstanden ist. Er handelt jedoch, »als ob« er wüsste, was sich in seinem Handeln zeigt. Beobachtet man dieses Handeln, kann man aufgrund dessen einen Rückschluss auf das Urteil ziehen, das diesem Handeln zugrunde liegt. Man kann versuchen, dies dann in Sprache zu beschreiben, wofür sich metaphorische Sprache am besten eignet.


»Intuitiv« bedeutet weder ein Gütesiegel noch eine Disqualifikation. Wer sich mit Intuition auseinandersetzt, muss sich mit dem Urteilsvermögen befassen, das sich in den Intuitionen zeigt, und andere Funktionen wie Beobachten und Schlussfolgern zur Kontrolle benutzen. Intuition muss wie jedes Urteilen über Wirklichkeit kritisch befragt werden. Intuition kann falsch oder richtig, qualifiziert oder unqualifiziert, befangen oder unbefangen, konventionell oder kreativ, borniert oder weitsichtig, versponnen oder weltzugewandt, liebevoll (Liebe) oder gnadenlos sein.


Intuition ist keine »natürliche Kraft«, die lediglich »freizusetzen« wäre, sie ist wie jedes Urteilsvermögen im Zusammenhang mit der persönlichen Entwicklung von Menschen und Kulturen zu sehen. Intuitive Steuerung heißt lediglich schnelle, komplexe (Komplexität) Verarbeitung von Daten zu Informationen (= zu Unterschieden, die Unterschiede machen).


Für die Integration von unbewusst-intuitiver und bewusst-methodischer Steuerung in Beziehungen steht das Dialogmodell der Kommunikation (Schmid 2003). Bildhaft gesprochen, soll einer geläuterten Intuition das Steuer überlassen und bewusst darüber gewacht werden, dass dabei ein sinnvoller (Sinn) Kurs gefahren wird.



Gleichzeitig entstehen durch inneren Dialog und spiegelnde Metaloge zwischen Menschen weitestmögliche Bewusstheit von und gemeinsamer Umgang mit Intuition. Durch die Auseinandersetzung mit den eigenen Urteilen können die intuitiven Urteile geläutert werden. Man erkennt Intuition nicht erst, wenn sie ihre Folgen in der Beziehungsgestaltung zeitigt. Als bedeutsamer Gegenstand professioneller Qualifizierung kann sie zusätzlich in Fachsprache übersetzt werden, insofern ist Supervision das Hauptinstrument der Intuitionsschulung.


Intuition als Funktion entwickelt sich durch Lebens- bzw. Berufserfahrung, sollte jedoch fach-, rollen- und kontextspezifisch (Kontext) geschult werden. Um Intuition in den Dienst einer Leistung oder eines Gegenübers stellen zu können, gilt es, mit Beeinträchtigungen umzugehen wie unerkannten Emotionen und Begierden, Tabus und Gewohnheiten. Dies meint nicht, auf eigene Neigungen völlig zu verzichten, sondern ihnen so zu folgen, dass sie auch für andere fruchtbar werden.


Intuition wurde bisher definiert als Bildung von Urteilen über vorhandene Wirklichkeit. Gebräuchlich ist aber auch, »Intuition« im Sinne von »Ahnung« zu verwenden als Intuition des Möglichen (Jung 2001). Werden Ahnungen geweckt, sinnvolle Möglichkeiten glaubwürdig gemacht, entsteht die Bereitschaft, für die angebotene Wirklichkeit Interesse und Ressourcen aufzubringen. Sich einzulassen kann entscheidend von dem Gefühl geleitet sein, dass der Professionelle Urteilsvermögen und Urteilskraft für Visionen besitzt. Ihm wird zugetraut, sinnfällige und kreative Wege in die Zukunft zu eröffnen. Auch anscheinend unabweisbar plausible Intuitionen sollten umsichtig aufgegriffen und zur sorgsamen Prüfung angeboten werden. Menschen mit »starken Intuitionen« verfallen leicht unkritisch ihrer Magie, was zu irrationalem Denken und Missbrauch führen kann. Stellt man sich Intuitionen gegenseitig zur Verfügung als spekulative Angebote, ohne den Anspruch, zu wissen, woher die Eindrücke rühren, wie sie zustande kommen und was sie bedeuten, nennt man diese Form des Feedbacks »Spiegelung«.


Verwendete Literatur


Berne, Eric (1991): Transaktionsanalyse der Intuition. Paderborn (Junfermann).


Jung, Carl Gustav (2001): Typologie. München (DTV).


Klein, Rudolf u. Andreas Kannicht (2007): Einführung in die Praxis der systemischen Therapie und Beratung. Heidelberg (Carl-Auer), 3. Aufl. 2011.


Schmid, Bernd u. Stefan Wahlich (1998/2002): Beratung als kulturorientierte und sinnschöpfende Kommunikation. Coaching Magazin. Verfügbar unter: http://www. coaching-magazin.de. [8.2.2012].


Schmid, Bernd (2003): Systemische Professionalität und Transaktionsanalyse. Bergisch Gladbach (EHP).


Schmidt, Gunther (2006): Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung. Heidelberg (Carl-Auer), 4. Aufl. 2011.


Weiterführende Literatur


Schmid, Bernd u. Chistiane Gérard (2008): Intuition und Professionalität. Systemische Transaktionsanalyse in Beratung und Therapie. Heidelberg (Carl-Auer).


Zeuch, Andreas, (2004): Training professioneller intuitiver Selbstregulation: Theorie, Empirie und Praxis. Hamburg (Kovac).