5. Arbeit als gesellschaftliches Zwangsprinzip

(Untenstehende These ist Teil der 1:1 Abschrift der 18 Thesen des MANIFEST GEGEN ARBEIT der Gruppe *krisis* ()


Arbeit ist keineswegs identisch damit, dass Menschen die natur umformen und sich tätig aufeinander beziehen. Solange es Menschen gibt, werden sie Häuser bauen, Kleidung und Nahrung ebenso wie viele andere Dinge herstellen, sie werden Kinder aufziehen, Bücher schreiben, diskutieren, Gärten anlegen, Musik machen und dergleichen mehr. Das ist banal und selbstverständlich. Nicht selbstverständlich ist aber, dass die *menschliche Tätigkeit schlechthin,* die pure „Verausgabung von Arbeitskraft“, ohne jede Rücksicht auf ihren Inhalt, ganz unabhängig von den Bedürfnissen und vom Willen der Beteiligten, zu einem abstrakten Prinzip erhoben wird, das die sozialen Beziehungen beherrscht.


In den alten Agrargesellschaften gab es alle möglichen Herrschaftsformen und persönlichen Arbeitsverhältnisse, aber keine Diktatur des Abstraktums Arbeit. Die Tätigkeiten in der Umformung der natur und in der sozialen Beziehung waren zwar keineswegs selbst bestimmt, aber ebenso wenig einer abstrakten „Verausgabung von Arbeitskraft unterworfen, sondern vielmehr eingebettet in komplexe Regelwerke von religiösen Vorschriften, sozialen und kulturellen Traditionen mit wechselseitigen Verpflichtungen. Jede Tätigkeit hatte ihre besondere Zeit und ihren besonderen Ort; es gab keine abstrakt-allgemeine Tätigkeitsform.


Es war erst das moderne Waren produzierende System mit seinem Selbstzweck der unaufhörlichen Verwandlung von menschlicher Energie in Geld, das eine besondere, aus allen anderen Beziehungen „herausgelöste“, von jedem Inhalt abstrahierende Sphäre der so genannten Arbeit hervorbrachte – eine Sphäre der unselbständigen, bedingungslosen, beziehungslosen, roboterhaften Tätigkeit, abgetrennt vom übrigen sozialen Zusammenhang und einer abstrakten „betriebswirtschaftlichen“ Zweckrationalität jenseits der Bedürfnisse gehorchend. In dieser vom Leben abgetrennten Sphäre hört die zeit auf, gelebte und erlebte zeit zu sein; sie wird zum bloßen Rohstoff, der optimal vernutzt werden muss : “Zeit ist Geld.“ Jede Sekunde wird verrechnet, jeder Gang zum Klo ist ein Ärgernis, jedes Schwätzchen ein Verbrechen am verselbständigten Produktionszweck. Wo gearbeitet wird darf nur abstrakte Energie verausgabt werden. Das Leben findet woanders statt – oder auch gar nicht, weil der Zeittakt der Arbeit in alles hineinregiert. Schon die Kinder werden auf die Uhr dressiert, um einmal „leistungsfähig“ zu sein. Der Urlaub dient bloß der Wiederherstellung der „Arbeitskraft.“ Und selbst beim Essen, beim Feiern und in der Liebe tickt der Sekundenzeiger im Hinterkopf.


In der Sphäre der Arbeit zählt nicht, **was** getan wird, sondern **dass** das Tun als solches getan wird, denn die Arbeit ist gerade insofern ein Selbstzweck, als sie die Verwertung des Geldkapitals trägt – die unendliche Vermehrung von Geld um seiner selbst willen. Arbeit ist die Tätigkeitsform dieses absurden Selbstzwecks. Nur deshalb, nicht aus sachlichen Gründen, werden alle Produkte als Waren produziert. Denn allein in dieser Form repräsentieren sie das Abstraktum Geld, dessen Inhalt das Abstraktum Arbeit ist. Darin besteht der Mechanismus der verselbständigten gesellschaftlichen Tretmühle, in der die moderne Menschheit gefangen gehalten wird.


Und eben deshalb ist auch der Inhalt der Produktion ebenso gleichgültig wie der Gebrauch der produzierten Dinge und wie die sozialen und natürlichen Folgen. Ob Häuser gebaut oder Tretminen hergestellt, Bücher gedruckt oder Gen-Tomaten gezüchtet werden, ob darüber Menschen erkranken, ob darüber die Luft vergiftet wird oder „nur“ der gute Geschmack unter die Räder kommt – all das ist nicht von Belang, solange sich nur auf welche Weise auch immer, die Ware in Geld und das Geld in neue Arbeit verwandeln lässt. Dass die Ware einen konkreten Gebrauch verlangt, und sei es einen destruktiven, ist für die Betriebswirtschaftliche Rationalität völlig uninteressant, denn für diese gilt das Produkt nur als Träger von vergangener Arbeit, von „toter Arbeit.“


Die Anhäufung von „toter Arbeit“ als Kapital dargestellt in der Geldform, ist der einzige „Sinn“, den das moderne Warenproduzierende System kennt. „Tote Arbeit“? Eine metaphysische Verrücktheit! Ja, aber eine zur handgreiflich en Realität gewordene Metaphysik, eine „versachlichte“ Verrücktheit, die diese Gesellschaft im eisernen Griff hält. Im ewigen Kaufen und Verkaufen tauschen sich die Menschen nicht als selbstbewusste gesellschaftliche Wesen aus, sondern sie exekutieren als soziale Automaten nur den ihnen vorausgesetzten Selbstzweck.