Die lernende Unternehmerfamilie - wie die Entwicklung von Gesellschafterkompetenz unterstützt werden kann

Der elfte Schritt der WIFU-Familienstrategieentwicklung


Das, was Gesellschafterinnen und Gesellschafter von Familienunternehmen benötigen, ob sie nun operativ im Unternehmen tätig sind oder auch nicht, ist Kompetenz. Welche Kompetenzbereiche das sind, haben Tom Rüsen, Ruth Orenstrat und Claudia Binz Astrachan ausgehend von einer Studie, in der sie 218 deutsche Unternehmerfamilien befragten, zusammengetragen.[1] Dies soll hier nur knapp benannt werden, bevor ich Gesellschafterkompetenz in den Kontext einer „lernenden Unternehmerfamilie“ stelle, die permanent dafür sorgen muss, dass sie das Wissen beschafft, die Haltungen aneignet und die Methoden nutzt, die für das familiäre Unternehmertum notwendig und angemessen sind.


In der benannten Studie von Rüsen et. al. wird Gesellschafterkompetenz in „Individualkompetenz“ (persönliche Weiterentwicklung der jeweiligen Gesellschafter), „Unternehmenskompetenz“ (Fähigkeit, positive Beiträge zum Unternehmenserfolg zu leisten), „Eigentumskompetenz“ (Fähigkeit, die Pflichten und Rechte, die mit Eigentum verbunden, zu realisieren) und „Familienkompetenz“ (Fähigkeit, positiv zur Funktionsfähigkeit der Familie beizutragen) differenziert und ausführlich beschrieben, wie sich die entsprechenden Kompetenzen in den untersuchten Familien darstellen und weiterentwickelt werden können.


Ergänzend dazu will ich hier vier weitere Formen der Kompetenzentwicklung aufführen, die im elften Schritt der Familienstrategieentwicklung besprochen werden sollten. Denn so kann die Unternehmerfamilie dabei unterstützt werden, zu einem lernenden System zu werden, das permanent bestrebt ist, aus Erfolgen und aus Fehlern zu lernen. Dabei verstehe ich Kompetenzen nicht als fertige Eigenschaften, sondern als fortzusetzende Prozesse, die in den folgenden vier Lerndimensionen entwickelt werden, und zwar im:


· Individuallernen,
· Familienlernen,
· Organisationslernen und
· Netzwerklernen.


Mit Individuallernen sind alle Aktivitäten der einzelnen Gesellschafterinnen und Gesellschafter gemeint, die ihre kognitiven, emotionalen und aktionalen Kompetenzen adressieren. Beim Lernen geht es nie nur um kognitive Rationalität, um Wissen oder Kenntnisse, sondern es geht immer auch um die emotionale Einbettung davon sowie um die Frage, wie sich dies im aktionalen Handlungsvollzug, in der Gestaltung konkreter Situationen ausdrückt. Daher integriert Lernen jederzeit – metaphorisch gesprochen: den Kopf (das Denken), das Herz (das Fühlen) und die Hand (das konkrete Tun). Die emotionale Dimension hat hier jedoch eine herausgehobene Stellung. Denn Wissen prägt sich umso mehr ein, je stärker es emotional verankert ist, bestenfalls freilich mit positiven Gefühlen. Daher ist es wichtig, dass Wissen, Handeln und die Handlungseffekte zusammengedacht und verkoppelt verstanden werden. Denn wer die Effekte seines auf Wissen begründeten Handelns selbst zu verantworten hat, steigert damit seine Lernchancen.


Mit Familienlernen ist das gemeint, was sich im gemeinsamen Familienalltag zumeist ungeplant, ganz nebenbei, nicht intendiert an Wissen, Fühlen und Handlungen vermittelt, aufgenommen und verinnerlicht wird. Ein solches Lernen ist in die familiäre Sozialisation eingebunden und prägt sich individuell und sozial, also hinsichtlich der Beziehungen in starker Weise ein. Denn es ist emotional über die Bindungen der Familienmitglieder zueinander geprägt. Hier werden etwa habituelle und milieuspezifische Familienthemen, z.B. Werte, Sitten und Gebräuche, weitergetragen. Bestenfalls sind diese für das unternehmerische Tun der Familie stützend und stärkend. Sollte das nicht der Fall sein, lohnt es sich, diese nicht bewussten Lernprozesse bewusst zu machen, sie zu reflektieren. Denn Unbewusstes lässt sich vor allem dann zielgerichtet verändern, wenn es bewusst gemacht wird, wenn wir es mit nüchternen Augen betrachten und uns fragen, ob es kontinuiert oder transformiert werden sollte.


Organisationslernen beginnt, wenn die Unternehmerfamilie, etwa während der Familienstrategieentwicklung, anfängt, über das Lernen gemeinsam zu reflektieren und Überlegungen dazu anstellt, wie die Lernprozesse der einzelnen Gesellschafter und Gesellschafterinnen sowie der gesamten Familien stärker formalisiert werden könnten. Mit der Formalisierung sind die Planung, Umsetzung und Evaluation, also die Organisation des unternehmerfamiliären Lernens gemeint. Ein solches Lernen setzt etwa an den oben von Rüsen et al. genannten Kompetenzen an. Es hat das Ziel, dafür zu sorgen, dass die Unternehmerfamilie ihre anspruchsvolle Aufgabe, nämlich ihr Unternehmertum erfolgreich zu meistern und immer wieder in die nächste Generation zu bringen, umsetzen kann. Dazu macht es Sinn, das Lernen zu organisieren, also entweder Pläne aufzustellen, wer, wann, wie und wo welche Lernprogramme absolvieren sollte, was die Voraussetzungen dafür sind und welche Möglichkeiten, welche Rechte und Pflichten sich damit öffnen, etwa für die Nachfolge in der Unternehmensführung, in der Eigentümerrolle oder in unternehmens- bzw. familienbezogenen Gremien.


Wenn wir über den engeren Kreis der Familie hinausgehen, beginnt das Netzwerklernen. Hier geht es darum, dass in sozialen Beziehungen von anderen Personen, etwa Freunden und Freunden von Freunden sowie Bekannten sowie Bekannten von Bekannten gelernt wird. Gerade von Menschen, die einem fremder sind als die Familienangehörigen oder als enge Freunde kann neues relevantes Wissen erlernt werden. Mitglieder von Unternehmerfamilien sind daher gut beraten, wenn sie viele Möglichkeiten des Austausches mit anderen Gesellschafterinnen und Gesellschaftern von Familienunternehmen suchen, dass sie mithin Personen aus diesem Kontext kennenlernen, die ihnen bisher fremd sind. Dazu eignen sich Fortbildungsveranstaltungen zum Thema.[2] Auch Tagungen und Konferenzen sind für ein solches Lernen sehr passend.[3] Netzwerklernen findet schließlich auch in sehr großen Unternehmerfamilien zwischen den vielen Gesellschafterinnen und Gesellschaftern aus unterschiedlichen Kleinfamilien statt, wenn diese gemeinsame unternehmens-, eigentums- oder familienbezogene Veranstaltungen planen, organisieren, durchführen und auswerten. Solche dynastischen, häufig bereits sehr alten Unternehmerfamilien, die aufgrund von egalitären Vererbungsprozessen mehr als 50 Gesellschafterinnen und Gesellschafter zählen, sind aufgrund der Heterogenität ihrer Mitglieder ein sehr fruchtbarer Nährboden für gewinnbringende Lernprozesse.


Abschließend bleibt festzuhalten, dass Lernen, also Bildung über Bindung läuft, dass beides eng verbunden ist. Daher ist Kompetenzentwicklung ein beziehungsorientierter Prozess, der mit Emotionen einhergeht; diese können bestenfalls der förderliche Rahmen sein für Individual-, Familien-, Organisations- und Netzwerklernen in Unternehmerfamilien.


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[1] Die Studie kann hier eingesehen bzw. als Download bezogen werden: https://www.wifu.de/bibliothek/gesellschafterkompetenz-in-unternehmerfamilien-4/#.


[2] Am Professional Campus der Universität Witten/Herdecke werden z.B. entsprechende Weiterbildungsprogramme für Mitglieder aus Unternehmerfamilien angeboten, siehe etwa hier: https://professional-campus.de/bildungsangebot/gesellschafterkompetenz-qualifizierungsprogramm und hier: https://professional-campus.de/bildungsangebot/unternehmenspraxis-fuer-nextgens.


[3] Hier bietet sich etwa der traditionsreiche Kongress für Familienunternehmen an, der dieses Jahr zum 26. Mal stattfindet: https://familienunternehmer-kongress.de.