Ausklang. Ausblick. Augenmerk – Paul Watzlawick heute

Werte Leserin, werter Leser!


Wo passt und begegnet uns Paul Watzlawicks Gedankengut heute? Wie wichtig, wie relevant, wie präsent ist das Thema menschliche Kommunikation aktuellerdings? Der systemisch-konstruktivistische Ansatz – in witzig-weiser Art, für die Paul Watzlawick steht? 100 ist eine runde Zahl; 100 Jahre eine lange Zeit. Die Geschichte schreiben die Schreiber, manchmal die Erzähler; zumeist im Nachhinein, wenn alle klüger geworden sind und neue Konzepte durch das Dorf getrieben werden. Was haben wir aus dem vom Kommunikations- und Verhaltensforscher kreierten, „schmackhaften (Gedanken-)Mahl“ (zit. nach Fritz B. Simon im Nachwort in: Paul Watzlawick. Die Biografie, Hogrefe Verlag) gemacht? Und vor allem – wofür kann es immer noch gut dienen? Mit den Worten „Es gibt nichts Neues unter der Sonne, außer das Vergessene“ hat mein austro-amerikanischer Großonkel Paul Watzlawick den spanischen Philosophen George Santayana oft zitiert.


Minderes „menscheln“ und seiMastermein Technik


Wie leben wir heute? Wie kommunizieren wir? Als Paul Watzlawick 1960 nach Palo Alto kam, war das Wort "Kommunikation" ein Außenseiter und das Therapiefeld von den intro-spektisch vergangenheitsorientierten Psycho-Analytikern mit jahrelangen, exklusiven Zweiersettings und Couchpatienten besetzt. Die elektrotechnische Signaltheorie von Shannon/Weaver mit Sender, Signal und Empfänger galt als vorherrschende Informationstheorie – eine funktionierende Technik stand im Vordergrund, weil sie auch Hintergrund einer erfolgreichen Kriegsführung im 2. Weltkrieg gewesen war. Master Mensch bediente sich des Gehilfen (Informations-)Technik. Wer öffentlich zu reden und zu überzeugen hatte, orientierte sich am Werkzeug griechische Rhetorik. (siehe Brief 15)


Als die Palo-Alto-Spinner begannen, davon zu sprechen, dass auch banal-schlichtes Verhalten – also Körpermimik, Smalltalk, Pausen, Witze und völlig unlogische, oft ambivalente Gesprächsformen, also typisches „menscheln“ im (Familientherapie-)Alltag – eine wichtige Form von Kommunikation darstellen (siehe Brief 15), die man wissenschaftlich untersuchen könne, wurden sie belächelt. Als sie begannen, neben dem Patienten auch andere Familienmitglieder als systemzugehörig beizuziehen und die Sitzungen im Therapeutenteam zu betreuen und zu filmen, wurden sie als Ketzer beschimpft; als sie meinten, auch schwerere Pathologien in rund zehn Sitzungen mittels strategischer Interventionen erfolgreich behandeln zu können, wurden sie als oberflächlich und manipulativ angefeindet und ausgegrenzt. Und Paul Watzlawick, der später seinen radikalen Konstruktivismus der zwei Wirklichkeiten formuliert (siehe Brief 7 - Bilder-Markt der Wirklichkeitskunst), riet man, doch gegen eine fahrende Straßenbahn zu laufen, um quasi auf den Boden der harten Realität und zur Besinnung zu kommen. „Es gibt keine (letztgültige objektive) Wahrheit“ (so der Philosoph Watzlawick) – „So ein Schwachsinn!“ (seine Kritiker).


Zentrale Werkaspekte von Paul Watzlawick haben wir dieses Jahr in den Briefen mit unterschiedlichen anderen Quellen verwoben. Das halbvollleere Glas Wasser (siehe Brief 7 - Bilder-Markt der Wirklichkeitskunst) und Vasubandus drei Selbstexistenzen (siehe Brief 14), die Heilung des persischen Königs Shahrayâr (siehe Brief 4 - König-Shahrayâr) zur systemischen Therapie bzw. Beratung, zur Social-Media- und Online-Learning-Welt einer Studentin (siehe Brief 16 - Mehr eine Sucht, anstatt Kommunikation), zur pragmatischen Kommunikationswissenschaft und hypno-kommunikativen, systemisch-konstruktivistischen Kommunikationsformen, für die Paul Watzlawick eingetreten ist und mit denen er ein Leben lang Leid lindern wollte. Ich danke Bardia Monshi, Oliver Martin und Sophia Saad für Ihr reiches Mitwirken dazu!


Zoom als Corona Community-Room


Heute nun, Ende 2021, sitzen viele von uns im Home-Office des beispielsweise österreichischen vierten Lock-Downs angesichts der Corona-Pandemie. Während im ersten österreichischen Lock-Down auch die Schulen geschlossen waren, sind sie nun geöffnet. Beratungen, Therapien und Meetings begannen nach dem ersten Schock – je nach IT-kultureller Vorgeschichte – langsam und breiter online stattzufinden. Im Berufs- und Bildungsalltag finden immer mehr Aktivitäten schließlich auch in Hybridform statt. Wenn diese neuen Arbeits- und Kommunikations-Formen entwickelt werden und zur Anwendung kommen, steht oftmals – Stichwort Signaltheorie als Kommunikationstheorie – die Technik im Vordergrund, vor allem Digitalisierung und Big Data; der Sklave Technik wurde m. E. über die Jahrzehnte vielerorts schleichend zum Master. Technik gibt vieles vor, man macht vieles mit. Doch auch Technik sei Dank – zoom as the new community-room wurde zum Schlagwort. Ein anderer Aspekt: Infolge der LockDowns, als viele Menschen auf kleinstem Raum zu Hause bleiben mussten, lagen im österreichischen Supermarkt Folder auf, die Anlaufstellen bei Erfahrung von Gewalt in der Familie thematisierten; von Depression und Selbstmord bei Jugendlichen ist in den Medien zu lesen. Kontext. Perspektivenwechsel. Geschmäcker sind verschieden, die Dosis macht das Gift. Wir leiden, wir lernen. Das Leben fordert uns. What a chance! What a chance? Wir können wählen.


Human KidsCommunication; cui bono?


Wenn wir Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien (Pragmatics of Human Communication, 1967) heute schreiben – unsere Erfahrung der Unterschiede, die Unterschiede machen – für die Jungen, die Kinder, für unsere Welt mit den Jungen und den Kindern; für komplexe Kommunikationsräume wie Onsite, Online, Hybrid; für Aug-in-Aug-Beziehungskommunikation in möglicher Abgrenzung zum Impression Management auf diversen Social-Media-Kanälen. Wie würden wir sie schreiben?


Dass wir mit dem 1. Axiom „Man kann nicht nicht kommunizieren (in einer sozialen Situation)“ darauf achten, wo die Grenze und Dosis dessen ist, was uns auf Dauer guttut; denn: the map is not the territory – social media ist nicht immer social, sondern oft commercial, und wir als Nutzer sind das Produkt; dass wir mit dem 2. Axiom (Unterscheidung Inhaltsebene und Beziehungsebene als Kommunikation über Kommunikation) ein Gespür dafür haben, wo Ich-Du-Wir-Beziehungen als emergentes Drittes herz*hafte Qualitäten (Watzlawick zitiert die „qualité emergente“ der französischen Biologen der 1930er Jahre, (siehe Die Lösung ist immer der beste Fehler) entstehen können und wo die Werbewirtschaft als Intermediär eine third party, also einen Dritten, darstellt, der mittels Algorithmen seine Interessen vertritt und sogenannte Kommunikationsräume digipuliert.


Dass wir den Jungen einen Blick für lebhafte Formen, Grammatik bzw. Syntax (siehe Brief 10 – A ist systemischer als B und Brief 11 – Wenn das Gehirn das Gehirn studiert) in der brave digicommercial world vermitteln; damit sie kritisch hinterfragen: cui bono clicks? Wann, wo, wie nützt Kommunikation(sKonsum) meinen Interessen, meinem Seelenwohl nachhaltig? Welche human communication patterns erlauben uns diese techno-kommerziellen FANGA-Kommunikationsräume, die interactional profiling zum Ziel haben? Fragezeichen oder Rufzeichen? Sind es Emojis für Bestätigung, Verwerfung, Entwertung? Wer sieht meine Re/Aktion wann? Wie erfolgt die System-Grenzziehung? Wer ist in und wer ist out, und zu welchem Preis oder verdecktem Gewinn? In welcher self-fulfilling filterbubble bin ich eventuell verfangen, fühle ich mich wohl? Was kann die Konsequenz meiner Bequemlichkeit sein, vorwiegend Vorgekautes zu nutzen? Watzlawick lernte: Never second hand! (siehe Brief 9 - Eseleien und die Aufgabe der Wissenschaft) Auf welchen Kommunikationsebenen und -kanälen ist es jeweils möglich zu metakommunizieren? Auch: wo entstehen neue Qualitäten, die wir beibehalten wollen?


Fake-News Konfusion – Fake-Truth Kommunikation


Ich denke, es gilt aus der Menschlichen Kommunikation manches in die aktuelle Mode zu übersetzen, neu einzukleiden. Gleichzeitig: des Kaisers neue Kleider zu benennen. Welche hypno-systemisch-konstruktivistischen Ansätze passen wo? Verbal, nonverbal und transverbal neue Fäden spinnen. Wo werden Fake News zu Fake Truth? Für wen? Onkel Paul schreibt bereits 1976 zu den Themen Konfusion, Desinformation und Kommunikation in seinem Buch „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“ und konkludiert: Kommunikation schafft Wirklichkeit. Wo sind heute Meinungsmache und Manipulation? Welche Bedürfnisse bringen sie zum Ausdruck? Wie hilft Media Literacy?


Watzlawick zitiert Martin Buber „Das Ich entsteht am Du“ und erinnert uns mit Horaz: „Um sich selbst zu verstehen, muss man von einem anderen verstanden werden. Um vom anderen verstanden zu werden, muss man den anderen verstehen“. Und er wusste von Ray Birdwhistell, dem Body Movement Man (siehe Brief 19 - Was lernt Watzlawick beim Body Movement Man), mit dem er 1960 in Philadelphia monatelang an Körperstudien arbeitete, der schätzte: „Zwei Menschen, die sich unterhalten, tauschen in einer Minute einhunderttausend Informationsteilchen aus“. Welch ein Schatz an Kommunikation. Was würden Sie in dem Buch lesen wollen? Was würden Sie ins Buch schreiben, um Reichtum und Tücke der menschlichen Kommunikation Kids, Teens und Twens vermitteln zu wollen? Welche Antworten geben Ihnen Ihre Kinder, was sie interessiert und bewegt? (Siehe Brief 20 – Hemmschwellen in Online Gruppenarbeit) Welche Interaktionsformen sind aus Ihrer Sicht wünschenswert und wie zu erreichen, damit wir uns immer wieder Räume des Wohlfühlens schaffen können? Für ein gelingendes Heute und nachhaltiges Morgen. Vielleicht im Sinne des Geburtstags-Kindes: Das Große liegt im Kleinen; let´s be small and beautiful – beginnen wir mit einem Lächeln ;)


In diesem Sinne – viel Freude am Wirken mit Wirkung!
Andrea Köhler-Ludescher