China-Bashing vs. China-Loving -statt eines Jahresrückblicks-

Seit vielen Jahren bin ich beruflich in China unterwegs. Auch wenn ich dort meine Konzepte und Praxis der Bezugnahme auf eine Körper-Perspektive in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern vorstelle, antworte ich auf die Frage, was mich bewogen habe, nach China zu gehen, gerne mit einem Augenzwinkern: „Das Essen ist hier einfach nur einmalig.“ Seit einiger Zeit ist mir aber das Lachen vergangen. Erlebe ich mich doch, manchmal fassungslos, manchmal aufbegehrend ob der herumwabernden Polarisierung zwischen China-Bashing und China-Loving. Die deutsche Politik hat im Sommer erstmalig ihre China-Strategie entwickelt. Diese postuliert wertebasiert: Man wäre Partner, Systemrivale und Wettbewerber. (Habe mich in meinem Blog bereits mehrfach dazu geäußert)


Wow! Wie geht das denn?


Bemüht, ernsthaft zu bleiben, schleicht sich heimlich eine Schadenfreude insoweit ein, als ich nicht in der Haut der Berliner Politik stecken möchte. Hat sie doch, laut eigener Strategie, eine schier unmögliche Aufgabe, nämlich die Quadratur des Kreises kreiert. Eine gewisse Sympathie überfällt mich insoweit, als ich die Strategie auch als untaugliches Bemühen verstehe, die berühmte eierlegende Wollmilchsau aufs politische Parkett zu treiben. (Leider auch über das internationale Parkett)


Versetze ich mich in die deutsche Außenministerin Baerbock, spüre ich den kalten Angstschweiß, den ich an ihrer Stelle gespürt hätte, als ihr bei der Pressekonferenz in Peking vom damaligen chinesischen Außenminister vor versammelter Presse auf der Weltbühne schulmeisterliches Verhalten bescheinigt wurde. Baerbock hatte den Anspruch erhoben, Werte zu haben, um China implizit Werte abzusprechen. Würde doch nur sie eine wertebasierte Politik machen.


„Ich bin, wenn Du nicht bist.“.


Täusche ich mich etwa, wenn ich mich an die Jahrausende alte Kultur Chinas erinnere?


Ich sehe grundsätzlich drei unterschiedliche Perspektiven im politischen und kulturellen Austausch zwischen Deutschland und China: Die inter-, multi- und transkulturelle Perspektive. Verglichen mit dem Erwerb einer Sprache vermittelt die interkulturelle Betrachtung so etwas wie Vokabeln, die multikulturelle Betrachtung so etwas wie die Grammatik. Transkulturell gesehen muss man aber dann ins kalte Wasser des lebendigen Austauschs, ohne Netz und doppelten Boden, springen, um das, was man gelernt hat, auch praktisch anzuwenden. Tut man dies, befindet man sich stets im zwischenmenschlichen Austausch, wobei es deutlich und unmissverständlich stets auch um das Erleben der eigenen emotionalen Resonanz geht und das gegenseige Verstehen. (nicht mit Verständnis zu verwechseln) Transkulturelle Kommunikation zwischen Deutschland und China ist ein Wildwasser. Ich erinnere mich noch gut an meine erste diesbezügliche Erfahrung: Meine erste Reise nach Peking war bestens vorbereitet. Ich fühlte mich sicher. Ich sollte am Flughafen abgeholt werden und bräuchte mir um alles andere keine Sorgen machen, so die liebevolle Ankündigung. Es kam aber anders als gedacht. Ich kam an, sah niemanden, der mit einem Pappschild und meinem Namen auf mich wartete. Noch hatte ich Geld gewechselt. Meine deutsche Sim-Karte funktionierte nicht und ich wusste nur den Namen des Hotels, in dem ich wohnen sollte. Sprach ich Jemanden an, begegnete mir ein stumm-freundliches Lächeln. Je länger ich wartete, desto mulmiger wurde mir. Wusste ich doch nicht, was konkret zu tun sei, um in das Hotel zu kommen. Spürte ich andererseits, und das möchte ich hervorheben, ein Wildwasser von Emotionen wie Ärger, Einsamkeit, Ohnmacht, Freude auf das mich wartende China, Zaudern usw.


Am „liebsten“ wär ich gleich wieder abgereist.


Während ich eine meiner ersten chinesischen Mutproben absolvierte, beschlichen mich auch Stereotype und Polarisierungen insoweit, als ich meinen Ärger und meine Ohnmacht auf das imaginative chinesische Gegenüber projizierte, das mir diese Unbill eingebrockt hatte. Ich selbst spürte aber nicht, dass ich mich in dem gleichen Moment überhöhte und zwischen „emotionalem Gut“ und „emotionalem Böse“ unterschied, indem ich es in meiner Projektion einfach so erfand. Natürlich schaffte ich es dann doch noch mit eigener Kraft ins Hotel zu gelangen. Zum Glück hat mich diese Erfahrung nicht abgeschreckt, mich weiterhin auf meine Besuche in China zu freuen. Na ja, die Küche ist eben einmalig.


Deutschland tickt anders. China tickt anders. Dies zu wissen ist das eine, ein „sensed-knowing“ (transkulturelles Erleben, Verstehen und Wissen) ist das andere. Ermöglicht mir doch das „sensed-knowing“, wenn ich mich mal wieder in einem solchen emotionalen Wildwasser befinden würde, das dann eintretende emotionale Gewitter besser zu bewältigen. Hier ein Beispiel: Ich war zu einem internationalen Kongress in Shanghai eingeladen. Als ich die Raumnummer für meinen Workshop erfahren wollte, sagte mir eine Chinesin, dass man nicht genügend Räume im Hotel hätte und ich somit meinen Workshop zusammen mit einem anderen deutschen Kollegen zusammen in einem Raum hätte durchführen sollen. Man stelle sich 2 verschiedene Workshops mit 2 Dozenten und 2 verschiedenen Teilnehmergruppen in einem recht kleinen Raum vor. Ich insistierte also auf einen eigenen Raum, während die Chinesin ihre Aussage wiederholte und wiederholte und wiederholte. In Deutschland hätte ich gleich gewusst, was zu tun sei, nämlich entschiedener aufzutreten, den Vorgesetzten zu suchen und wegen der speziellen Einladung auch auf einen speziellen Raum zu pochen. Natürlich fühlte ich mich fassungslos, ärgerlich und ohnmächtig, bis mich ein transkulturell rettender Gedankenblitz ereilte. Mit den Worten, sie solle noch einmal schauen, ob sie nicht doch einen Raum finden könne, verabschiedete ich mich, um nach dem Mittagessen zurückzukehren. Schon von weitem sah ich die Chinesin freundlich lächelnd mit den Worten auf mich zu rennen, sie hätte doch einen Raum gefunden und ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen. – So einfach und docvh so schwer in dem jeweiligen Moment.


Nun, zurück zur großen Politik. Jüngst gab es nach langer Zeit wieder ein face-to-face Treffen zwischen Xi Jinping und Joe Biden. Die Beziehung zwischen den beiden war sehr unterkühlt gewesen und man fragte sich in den Medien, wie es denn zwischen China und den USA überhaupt weitergehen könne. Die medial inszenierte Polarisierung machte kaum Hoffnung, schürte hingegen das politische Unwetter. Wurden doch stets einerseits die politisch relevanten Unterschiede (sich selbst bestätigend) scharf herausgearbeitet, während man Signale auf eine mögliche Hoffnung klein redete. Das Treffen lief, wie sich später herausstellte, ganz anders als medial erwartet. Hatte die Politik in Peking und Washington doch einen transkulturellen „Kunstgriff“ genutzt, der dazu verhalf, dass das Treffen nicht an der medial inszenierten „self-fulfilling prophecy“ scheiterte. Insgeheim hatte man im Vorfeld, lange und differenziert einen Auftritt des Philadelphia Philharmonic Orchestra in China vorbereitet. Dieser Kulturaustausch war insoweit transkulturell als er gleichzeitig zum überraschenden Austausch jeweils wertschätzender, persönlicher Grußbotschaften von Präsident zu Präsident genutzt wurde.


Biden und Xi haben also auf der großen, offenen, politischen Bühne ihre Macht-Rollen gewahrt, ohne ihr politisches Gesicht zu verlieren. Auf der inoffiziellen Bühne kam es zu einem dialogischen Austausch, zur Verständigung und gegenseitigen Wertschätzung.


In China begegnet mir in ähnlichen Situationen übrigens der Begriff der Juxtaposition. Diese meint: Eine Juxtaposition bedeutet eine enge Nachbarschaft zweier „Befindlichkeiten“. Wichtig ist dabei, dass beides einander nahe liegt, aber durchaus voneinander zu unterscheiden ist und sogar voneinander völlig unabhängig sein kann.


Hat die deutsche Politik so etwas überhaupt mit bedacht?


Na ja ...


Wünsche einen schönen Jahreswechsel