Fortgeschrittenes pathologisches Altern sollte in der ICD abgebildet werden

Autoren:


Ilia Stambler 1, 2, 3
Aleksey Alekseev 4
Yuri Matveyev 5
Daria Khaltourina1,6


1: International Longevity Alliance (ILA), Paris, Frankreich
2: Vetek (Seniority) Association - die Bewegung für Langlebigkeit und Lebensqualität, Tel Aviv, Israel
3: International Society on Aging and Disease (ISOAD), Fort Worth, USA
4: Fakultät für Physik, Staatliche Lomonossow-Universität Moskau, Moskau, Russland
5: Forschungslabor, Regionales Forschungs- und Klinikinstitut Moskau, Moskau, Russland
6: Abteilung für Risikofaktorprävention, Föderales Forschungsinstitut für Gesundheitsorganisation und Informatik des Ministeriums für Gesundheit der Russischen Föderation,Moskau, Russland


Korrespondenz: ilia.stambler@gmail.com


Ursprünglich veröffentlicht in Lancet Healthy Longevity, 3(1), E11, 2022. https://doi.org/10.1016/S2666-7568(21)00305-6


 


In einem kürzlich in The Lancet Healthy Longevity erschienenen Kommentar schlugen Banerjee et al. (2021) vor, den Code "Old age" MG2A aus dem ICD-11 (Anm. d. Übers: International Classification of Diseases) zu streichen, da die Gleichsetzung von "Old Age" mit Krankheit die negativen Folgen haben könnte, dass kalendarisches Alter als Krankheit behandelt wird, was Bedenken wegen "Altersdiskriminierung" aufkommen ließe.


Tatsächlich ist "Alter" jedoch kein neuer ICD-Zusatz, der besondere Bedenken wegen Altersdiskriminierung wecken sollte. Die synonyme Bezeichnung "Senilität/Alter" wurde von der ICD-10 in die ICD-11 übernommen, da es sich um eine eher technische Bezeichnung handelte, die es ermöglichte, die Todesursache festzustellen, wenn es schwierig oder unmöglich war, andere Ursachen zu ermitteln (Stambler 2017). Im Gegensatz zu den früheren Versionen lässt die neue ICD-11-Ausgabe jedoch verschiedene synonyme Interpretationen zu, darunter auch solche, die für einen Kliniker, der ältere Menschen behandelt, sehr nützlich sein können, wie z. B. "Alterung", "Seneszenz", "seniler Zustand", "Gebrechlichkeit" oder "senile Dysfunktion", die sich auf einen Gesundheitszustand, aber nicht auf die Zahl im Pass beziehen (https://icd.who.int/).


Es wird immer deutlicher, dass pathologische Alterungsprozesse die Hauptrisikofaktoren und sogar die Hauptursachen für Mortalität und Morbidität bei nicht übertragbaren Krankheiten und, wie wir aus den jüngsten Pandemien lernen, auch bei Infektionskrankheiten sind (Barzilai et al. 2020). Um diese altersbedingten Risikofaktoren zu bekämpfen, gibt es eine neue Welle der Forschung und Entwicklung, die darauf abzielt, neue Therapien zu entwickeln oder ältere Therapien umzuwandeln, um die Schäden des Alterns zu verlangsamen und umzukehren, d. h. präventive, regenerative und kurative Medizin (Mkrtchyan et al. 2020). Diese Forschung und Entwicklung erfordert eine entsprechende ICD-Kodierung.


Die Weltgesundheitsorganisation hat dieses Problem durch die Aufnahme eines neuen Erweiterungscode "XT9T Altersbedingte Erkrankungen" in den Abschnitt "Ätiologie" aufgenommen. Dieser Code beschreibt altersbedingte Erkrankungen und kann für die Forschung und klinische Entwicklung hilfreich sein (Khaltourina et al. 2020; Lancet 2018). Es besteht jedoch noch Bedarf an Kodierung sowohl des pathologischen biologischen Alterungsprozesses als Ganzes, als auch dessen fortgeschrittenen Stadiums.


Die neue ICD-11 ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, denn sie liefert zweifachen Fokus zur Verbesserung der Gesundheit älterer Menschen:


- Zum einen wird "Alter/Seneszenz/senile Schwäche" in die Kategorie "allgemeine Symptome" aufgenommen
- und zweitens wird "altersbedingt" in die Kategorie "Ätiologie oder Kausalitätskategorie“ sortiert, um die pathogenen Alterungsprozesse zu erfassen.


Weit davon entfernt, die Rechte älterer Menschen zu diskriminieren und die Vernachlässigung ihrer kurativen oder präventiven Gesundheitsversorgung zu fördern, bewirken die ICD-11-Kodes für "Alter" und "altersbedingte" Kausalität also genau das Gegenteil: Sie lenken die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Fachwelt auf die spezifischen Gesundheitsprobleme älterer Menschen und fordern zum Handeln auf, um die Vorbeugung und die Heilung speziell für ältere Menschen zu verbessern. Damit sind diese Bezeichnungen das genaue Gegenteil von "Altersdiskriminierung".


Wir setzen uns für eine umfassende therapeutische Nutzung der neuen ICD-11-Kriterien für altersbedingte Krankheiten ein, indem wir die Forschung und Entwicklung entsprechender Diagnostika und Therapeutika fördern, um die Hauptrisikofaktoren für ältere Menschen - die degenerativen Alterungsprozesse - direkt anzugehen.


 


Literatur und Referenzen:


Banerjee D, Mukhopadhyay S, Rabheru K, Ivbijaro G, de Mendonca Lima CA. Not a disease: a global call for action urging revision of the ICD-11 classification of old age. Lancet Healthy Longevity 2021; 2: e610–12. https://doi.org/10.1016/S2666-7568(21)00201-4


Barzilai N, Appleby JC, Austad SN, Cuervo AM, Kaeberlein M, Gonzalez-Billault C, Lederman S, Stambler I, Sierra F. Geroscience in the age of COVID-19. Aging Dis 2020; 11: 725-9. https://doi.org/10.14336/AD.2020.0629


Lancet. Opening the door to treating ageing as a disease. Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6: P587. https://doi.org/10.1016/S2213-8587(18)30214-6


Khaltourina D, Matveyev Y, Alekseev A, Cortese F, Ioviţă A.


Aging fits the disease criteria of the International Classification of Diseases. Mech Ageing Dev 2020; 189: 111230. https://doi.org/10.1016/j.mad.2020.111230


Mkrtchyan GV, Abdelmohsen K, Andreux P, et al. ARDD 2020: from aging mechanisms to interventions. Aging (Albany NY) 2020; 12: 24484-503. https://doi.org/10.18632/aging.202454


Stambler I. Recognizing degenerative aging as a treatable medical condition: methodology and policy. Aging Dis 2017; 8: 583-9. https://doi.org/14336/AD.2017.0130