Psychiatrie: Zurück auf Los

Mein zweiter psychiatrischer Chef (in einer Großklinik, Mitte der 70er Jahr), der seine Facharztausbildung an einer deutschen Universitätsklinik erhalten hatte, gestand einmal, dass er noch nie einen Psychotiker gesehen hatte, der nicht medikamentös vorbehandelt war.


Heute könnte solch eine Aussage wohl von den meisten Psychiatern gemacht werden. Das heißt aber, dass wahrscheinlich die meisten Kollegen mit Patienten konfrontiert sind, deren Verhalten, sowie deren psychische und mentale "Auffälligkeiten" (d.h. worauf mal als Diagnostiker halt so achtet), zu einem großen Teil Wirkungen der Medikation sind (siehe vor etlichen Tagen in diesem Blog "Anatomy of an Epidemic").


Deswegen sollte die Psychitrie sich m.E. auf ihre Anfänge besinnen. Auch wenn die nicht sehr nett im Umgang mit ihren Patienten waren, so haben die alten Psychiater, die Kräpelins, die Beulers, Jaspers, Kurt Schneiders (und wie sie alle heißen) wenigstens sorgfältig beobachtet und pingelig genau beschrieben. Man braucht ja ihren Klassifizierungen und Erklärungen nicht zu folgen (d.h. das sollte man auch nicht), aber man kann bei ihnen wenigstens sicher sein, dass sie keine Medikamentenwirkungen für Symptome halten... Wenn "Antipsychotika" zu psychotischen Symptomen führen, "Antidepressiva" zu Depression oder, noch häufiger, Manien, dann ist dies fatal, denn sie führt nicht nur zu selbsterfüllenden Prophezeiungen, sondern zu selbstverstärkenden Prozesse, statt auf den Weg zurück in ein psychiatriefreies Leben.


Die Wirkung ist analog zu der des Aderlasses in den Frühzeiten der Medizin...