20 Jahre Systemische Gesellschaft

Gestern und heute feiert(e) die Systemische Gesellschaft (SG) ihren 20. Geburtstag in Berlin mit einer Tagung (und gestern Abend mit einem rauschenden Fest - selten so gut bei einer Tagung gegessen, und erst die Geburtstagstorte: hm...). Außerdem gibt es eine neue Website, die gestern frei geschaltet wurde.


Bei den Diskussionen ging es zum einen darum, die Erfolge bei der Anerkennung als wissenschaftlich begründetes Therapieverfahren und die zu erwartende Bezahlung durch die Krankenkassen zu feiern (letztere wird allerdings angesichts der harten Lobbywiderstände der beiden bislang die Kassentöpfe unter sich verteilenden Therapievarianten noch Jahre dauern - Jahre, in denen Millionen weiter unter den etablierten Therapeuten verteilt werden: Zeit ist hier wirklich Geld).


Es ging aber - es ist/war eine Zukunftskonferenz - darum, das Selbstverständnis von "Systemikern" im Allgemeinen, der SG im Speziellen zu diskutieren.


Das Themenspektrum des dazu gestern abgehaltenen (und heute fortgesetzten) open space ist/war weit. Was mir besonders gut gefallen hat, ist, dass sehr vielle Kollegen zu dem Schluss gekommen sind, dass es nicht reicht, Berufspolitik zu betreiben, sondern dass es darum geht, sich politisch einzumischen.


Inzwischen sind Zehntausende von Menschen durch systemische Ausbildungen gelaufen. Das sollte eine kritische Masse sein, die mit anderen - weniger schwachsinnigen - Erklärungsmodellen auf die Gesellschaft schaut und andere Politikvorstellungen hat als der Main-Stream.


Was wir brauchen, ist so etwas wie eine "Zweite Aufklärung" - weg vom geradlinig-linearen Denken, hin zum systemischen Denken. Und das nicht nur in kleinen, geschlossenen Fachkreisen, sondern jenseits dieser engen Grenzen...


Dass eine Fachgesellschaft qua Funktion hier nicht der Vorreiter sein kann, sollte klar sein. Solche Gesellschaften müssen immer anti-innovativ sein, da sie Standards festlegen, Prüfungen und Lizensierungen durchführen, um bewährtes Wissen und Können zu sichern. Nur so können sie eine ihrer Funktionen gewährleisten, dass der "Endverbraucher", der Klient, Patient, Kunde einem Zeugnis bzw. dem Verfahren, um es zu erlangen, vertrauen kann, wenn er einem Vertreter einer Profession nicht aufgrund eigener Erfahrung vertrauen kann. Fachgesellschaften dienen insofern ja der gesellschaftlichen Komplexitätsreduktion. Wenn sie das tun wollen, so müssen sie immer irgendwie konservativ sein (auch wenn ihre Mitglieder allesamt sehr progressiv sein mögen).


Aber sie können trotzdem ihren Teil dazu beitragen, das Feld, zu dem sie gehören, lebendig und kreativ zu erhalten. Denn es gibt ja auch noch andere Mitspieler in diesem Feld: Universitäten, Institute, Netzwerke und Communities, Zeitschriften, Verlage, Vernetzungen aller Art usw.


Hier kann auch eine Fachgesellschaft wie die SG oder die DGSF (und all die anderen, neu gegründeten systemischen Pädagogen-, Sozialarbeits- usw. Gesellschaften) etwas dafür tun, dass die größere Überlebenseinheit, an der sie teilhat, in eine Richtung verändert wird, die zu ihren Modellen passt. Hier gilt es, die Neutralität aufzugeben und sich einzumischen. Es geht darum, den Diskurs am Leben und lebendig zu erhalten, letztlich: einen gewissen Sex-Appeal in die Auseinandersetzungen zu bringen...


Es waren (sind) jedenfalls viele da, die das so sehen.


Schauen wir mal, was daraus wird...