Apple: das DDR-Modell

Ich war im Apple-Shop (Berlin, Kudamm), weil ich in der Zeitung gelesen hatte, dass das Netzteil meines iPhones zu heiss werden kann (hatte ich schon bemerkt) und gelegentlich Häuser abfackelt. Die Firma Apple sei so nett, diese Netzteile auszutauschen. Also ging ich in den Laden, in dem Dutzende blaubehemdter junger Menschen rumwuselten. Es gibt dort keine Schalter, Kassen oder ähnlich altmodisches Zeug, nur viele lose gekoppelte (das scheint die Idee dahinter) eigenständig agierende Einzelakteure.


Ich habe mich also an eines der Blauhemden gewendet, mein Anliegen formuliert und mein Netzteil vorgezeigt. Es hat auf die Nummer, anhand derer diese Heizgeräte identifizierbar sind, geschaut, sie für richtig befunden und mir dann gesagt, im solle mich in die Schlange einreihen, die vor einem anderen Blauhemd aufgereiht war, das neben einem nicht weiter auffallenden Tisch mit seinem iPad stand. Ich wartete dort also ca. 15 Minuten, bis ich dran war. Dann sagte mir dieser junge, fröhliche und optimistisch in die Welt schauende Mann, er könne mir einen Termin bei seinem Kollegen am Nebentisch in 40 Minuten anbieten. Auf meinen Einwand, ob er denn spinne, schließlich hätte ich ja jetzt schon gewartet, antwortete er, so sei das hier eben organisiert. Und wenn ich den Termin für in 40 Minuten akzeptieren sollte, was ich ja keineswegs müsste, dann möge ich mich doch bitte bei seinem Kollegen - aussehend wie alle anderen und an einem Tisch stehend, der wie alle anderen aussah - fünf Minuten vor dem Termin anmelden.


Nicht wirklich guter Laune ging ich dann zur Post, wo ich ein Päckchen, das nicht in meinen Briefkasten gepasst hatte, abholen musste. Auch dort musste ich Schlange stehen.


Schließlich, 35 Minuten nach meiner ersten Begegnung der x-ten Art mit Apple, war ich wieder im Apple-Flagship-Store. Ich erkannte auch den Menschen wieder, bei dem ich mich anmelden sollte. Dort war nun eine weitere Schlange von Leuten, die sich offenbar alle anmelden wollten, um zu irgendwelchen anderen Menschen an den gleich aussehenden Tischen gehen zu können. Es dauerte diesmal nur ca. 10 Minuten, dann wurde ich an den Herrn verwiesen, der für den Austausch der Netzteile verantwortlich ist. Er sass die ganze Zeit unbeschäftigt an seinem ebenfalls wie alle anderen aussehenden Tisch, während ich Schlange stand, und er langweilte sich offenbar schon längere Zeit, denn er empfing mich freudig und freundlich. Der Austausch des Netzteils dauerte dann ca. 2 Minuten, wobei ich explizit auf den selbstverständlichen Service verzichtete, per e-mail darüber informiert zu werden, dass das Netzteil meines iPhone ausgetauscht wurde. Der blaubehemdete Freundling schaute zwar etwas enttäuscht, dass er seine technischen Möglichkeiten nicht ausnutzen konnte, gab sich aber nach nur kurzem Widerstand zufrieden.


Als ich die Geschichte Kollegen aus Görlitz erzählte, mit denen ich nachher zu tun hatte, sagten die spontan: "Genau so war das bei uns in der DDR. Nur dass wir nicht für Äppel, sondern für Bananen angestanden haben. Und die blauen Hemden kennen wir von der FDJ."


Jetzt weiss ich endlich, wo Steve Jobs seine Ideen her hatte...


Mir wurde an diesem Tag - beim Vergleich der Apple- und der Post-Schlange klar, dass die Post die (aus Kundensicht) effizientere und psychologisch günstigere Warteschlangen-Management-Strategie hat (wenn man denn schon warten muss, was ja eh eine Unverschämtheit ist): Man reiht sich als Kunde ein, wer zuerst kommt, steht vor dem, der später kommt, drei oder vier Schalter sind besetzt, und es gibt für alle nur eine Schlange, so dass keiner das Gefühl hat, wieder mal in der falschen Schlange zu stehen (was sonst ja jedem immer passiert). Das erscheint irgendwie demokratisch und ist leichter auszuhalten, als die bekloppte und in ihrer kafkaesken Sinnfreiheit nicht einsichtige Apple-Bürokratie.


Ich frage mich nun natürlich, ob es wirklich eine gute Idee ist, iPhones etc. zu kaufen oder gar Apple-Aktien.