Das Paradox der Farbblindheit

Gestern Abend hat in der American Academy in Berlin Tricia Rose, Professorin für the Study of Race and Ethnicity an der Brown University, einen Vortrag über "white supremacist thinking" in der Trump-Aera gehalten.


Ihre These war, dass die Ideologie der Rassengleichheit - eine Art der politischen Korrektheit, die vorgibt, man würde nicht auf die Farbe der Menschen achten - dazu beigetragen hat, dass Trump gewählt wurde und der Rassismus jetzt offen gezeigt wird.


Hintergrund ist, dass es offiziell - nach den Gesetzen und zum Teil im Bewußtsein der liberalen Weißen - keine Rassendiskriminierung gibt. "Wir sehen keine Farben", so zitierte sie eine Lehrerin - was natürlich Quatsch ist, denn der Rassismus ist nur unter Mühe zu verleugnen. So haben - laut empirischen Untersuchungen - bei gleicher Qualifikation weiße Bewerber um eine Stelle doppelt so gute Chancen den Job zu bekommen, und, obwohl der Drogenkonsum bei Weißen und Schwarzen gleich ist, sitzen deswegen sechs mal so viele Afroamerikaner im Knast als Weiße. Die Liste ließe sich ohne Mühe erweitern.


Nun zur Erklärung der Wahl Trumps. Wenn es offiziell im Bewußtsein vieler Weißer keine Rassendiskriminierung gibt (=Farbenblindheit), dann wird von den "Deplorables" jede Aktivität zugunsten der Farbigen Amerikaner als eigene Benachteiligung erlebt. Die Hoffnung zu dem alten Überlegenheitsstatus zurück zu gelangen, war es, was Trump verkauft hat.


Die Wahl Obamas hat diese Farbenblindheit verstärkt bzw. bei den weißen Amerikanern die Idee verbreiten geholfen, es gäbe keine Rassendiskriminierung mehr in den USA. Wenn ich mir die Zahlen richtig gemerkt habe, dann denken ca. 80% der weißen US-Bürger es herrsche Rassengleichheit, aber nur 20 % der schwarzen Befragten.


An dem Beispiel ist gut zu studieren, wie die Selbstbeschreibung einer Gesellschaft die Gesellschaft verändert (oder eben auch nicht). Alles eine Frage der öffentlichen/veröffentlichten Konstrukte, die das Bewußtsein leiten.


Mich hat diese Farbenblindheit an eine Bekannte von mir erinnert, die putzen geht und unter eher prekären Verhältnissen lebt. Jedesmal, wenn ich sie treffe, jammert sie mir vor, dass die Flüchtlinge aaaalles bekommen, und ihr würde deswegen keiner eine Wohnung vermieten, die schön und preiswert ist.