Europäische Nord-Süd-Konflikte

Mir scheint der deutsch-griechische Konflikt nur ein besonderes Beispiel für eine kulturelle Differenz, d.h. konkret die generell unterschiedliche Denk- und Fühlweise in Nord- und Südeuropa.

Ich habe hier schon mehrmals über meine Erfahrungen als Vizepräsident der Europäischen Familientherapie Assoziation (EFTA) in den Jahren 1994 - 2001 geschrieben. Damals ging es darum, die Familientherapeuten in Europa politikfähig zu machen, d.h. aus einem Club von Individuen einen Verband zu basteln, der mit einer Stimme gegenüber den europäischen Gremien in Brüssel sprechen können sollte.

Zu diesem Zweick trafen sich mehrmals im Jahr Vertreter von 28 Nationen, und es kam regelmäßig zu ganz, ganz heißen Konflikten (wie man sie unter professionellen Konfliktlösern nicht erwarten sollte) zwischen, beispielsweise, Engländern und Italienern. Meine Erklärung dafür war und ist: Nord- und Südeuropäer folgen unterschiedlichen Entscheidungsprämissen und entwickeln dementsprechende Erwartungen aneinander, die dann - vorhersehbar - enttäuscht werden.

Um es auf eine Formel zu bringen: Im Norden Europas gelten Entscheidungen als legitim, wenn sie unter Befolgung bestimmter prodzeduraler Regeln getroffen wurden (d.h. ohne Ansehen der Person). In Südeuropa hingegen gelten Entscheidungen als legitim, wenn sie die Interessen der beteiligten Akteure berücksichtigen und ihnen gerecht werden.

Folge: Wenn nach nordeuropäischen Kriterien entschieden wird, dann erscheint das den Südeuropäern als herzlos, von einer menschenverachtenden Logik bestimmt... Wenn nach südeuropäischen Kriterien entschieden wird, dann erscheint das den Nordeuropäern als korrupt, mafiös und meistens nicht vertragstreu...

Ich war damals und bin heute hin- und hergerissen, welches der beiden Prinzipien (die hier natürlich ziemlich vereinfacht dargestellt sind, wie ja auch die Nord-süd-Unterscheidung simplifiziert) mir besser gefällt bzw. welches langfristig die größere Lebensqualität sichern kann... Für den Norden spricht wahrscheinlich, dass sie eine größere Chancengleichheit ermöglicht, weil die Personenorientierung extrem konservative Wirkungen hat, d.h. über lange Zeit gewachsene soziale Schichtungen und Beziehungsnetze fest schreibt... Für den Süden spricht, dass es lustiger zugeht, man sich als Person gesehen fühlt und, wenn man mal zur Familie gehört, auch auf deren Solidarität setzen kann... (was unter Staten offenbar nicht so funktioniert: Mit einem lernbehinderten Kind geht man in der Familie eben anders um als mit einem lernbehinderten Staat in einer Staatengemeinschaft).