Lernen 0 - III

Soll ich im Blog wirklich über einige meiner speziellen Erfahrungen mit dem Lernen schreiben? Selbstdarstellung und das auch noch mitten in den Sommerferien? Adi meint: „Lass den Quatsch! Wer interessiert sich schon für deine Belehrungen.“ Ich sehe zwar die Berechtigung solcher Einwände, finde aber das Unternehmen selbst so spannend, dass ich mich einmal mehr über solch gut gemeinten Rat hinwegsetze in der Annahme, einigen Lesern und Reinguckern ein paar nützliche Informationen anzubieten sei besser, als über Gott und die Welt zu räsonieren, wozu es derzeit zugegebenermaßen wahrhaft genügend Anlass gäbe. Ich will niemandem die wertvolle (Ferien-)Zeit stehlen, sondern ihm zum Dank für’s Lesen nebenbei ein paar homöopathische Dosen echten Lernens für’s Leben zum Verkosten geben. Ganz getreu dem Lebensmotto Maria Montessoris: *„Hilf mir, es selbst zu tun!“* Ich kehre also diese Woche ein wenig die bei mir herumliegenden Bauklötzchen für das geschickte Lernen zusammen und denke dabei überhaupt nicht in erster Linie an die Schule, sondern an das Leben, auch an allerlei Menschen, besonders solche meines Alters, die niemand mehr zwingt täglich Neues zu lernen. Vielleicht tun sie es ja bald gerne freiwillig und merken, wie gut ihnen das tut.


„Wenn es schon sein muss, dann komm endlich zur Sache!“ mahnt Adi. Na dann: Jedes Gehirn konstruiert sich, also auch sein Wissen selbst, sagen Manfred S. und Gerhard R. und die müssen es als Hirnforscher schließlich wissen. Damit wäre jedes Lernen konstruktives Handeln und nicht passives Aufnehmen. Vielleicht können einige Leute, die diese Seiten besuchen, einen leichten Schubs bekommen, dies und jenes einmal selbst zu versuchen, um sich ab sofort das Leben zu erleichtern. Es geht also nicht um eine neue Theorie des Lernens (wäre ja noch schöner, mitten in den Ferien), sondern um eine (konstruktivistische) Praxis des Lernens, mit der ich Sie hier ein wenig bekannt machen will. Falls das nicht schon ein alter Hut für Sie ist, lassen Sie sich einfach anstecken! Ich will aber den Mund nicht zu voll nehmen, auch wenn es genügend Leute gibt, die ständig mit ihrem Hang zur Vergesslichkeit kämpfen und schon längst aufgehört haben sich überhaupt noch etwas Neues auf Dauer merken, also lernen zu wollen, die längst ihre persönlichen Vermeidungsstrategien entwickelt haben, vielleicht sogar ohne es überhaupt zu wissen, dass sie alles vermeiden, was auch nur von fern nach Lernen aussieht. Der Mensch als solcher ist offenbar von Natur aus neugierig, aber eben auch bequem. Jeder will zum Beispiel ein gutes Gedächtnis haben, aber er hätte das gern wie eine gute Gabe Gottes geschenkt und meint dafür nichts tun zu müssen. Tröstet sich vielleicht selbst mit Sätzen wie: „Wir werden eben alle älter!“ Doch wie sagt man das, sich selbst nicht so wichtig nehmend, Geschwätzigkeit meidend, womöglich geistreich, einfallsreich, spannend und doch nicht überspannt, dafür gut verständlich und nachvollziehbar? Ich versuch es einfach und beginne mit etwas Theorie der Praxis.


Mein Blick fällt auf ein Klötzchen mit den Anfangsbuchstaben G.B. Dieser geniale Chefsystemiker beschrieb vor mehr als 40 Jahren vier Ebenen oder logische Typen des Lernens, nannte Lernen 0, was nicht durch Versuch und Irrtum gelernt worden ist. Die Ebene von Lernen I wird demnach beim Lernen durch Versuch und Irrtum erreicht. Lernen II beschreibt er als Veränderung im Prozess von Lernen I. Ein Beispiel sind die berühmten Pawlowschen Hunde mit der Ausbildung des ebenso berühmten bedingten Reflexes. Auch Lernen lernen gehört für ihn zu Lernen II. Die Ebene von Lernen III werde sehr selten und von wenigen Menschen erreicht. Ich denke, er meinte so eine Art Erleuchtung ohne das konkret so zu nennen. Für die Erfahrung von Lernen III gebe es keine Worte, sagte er. Und Lernen IV kann überhaupt kein auf Erden lebender Organismus erreichen, sagte Gregory B. Im Vergleich zu ihm, der seine Erkenntnisse aus den Experimenten der Tierverhaltensforscher von Pawlow bis Penfield gewonnen hat, schaue ich mir schlicht und einfach selbst beim Lernen zu und beobachte, wie sich mein System sogar jenseits aller Zeitfenster, dafür im Rahmen der noch immer funktionierenden Plastizität meines Gehirns im Alter von 72 erweitern lässt. Eine Ich-AG des Lernens, deren Profit aus jener Selbstverstärkung erwächst, welche erfolgreiche Experimente nun einmal beim Experimentator hinterlassen – immaterieller Lohn und gesteigerte Freude an der Sache. Die Hilfsmittel der Erkenntnis beziehe ich aus den Ergebnissen der Hirnforschung und dem, was erfolgreiche Lernpraktiker entdeckt und weitergegeben haben. Und das erklärt sich mir dann so:


*„Der Mensch lernt immer. Er kann gar nicht anders. Er ist das lernende Wesen schlechthin, so wie der Albatros das fliegende Wesen schlechthin ist.“* So ungefähr Manfred Spitzer. Das kleine Kind lernt ohne zu wissen, dass das Lernen ist, was es tut. Es lernt Stehen und Gehen, Sprechen und Singen und so vieles mehr. Und es wird niemals müde, es nochmals zu versuchen, wenn etwas noch nicht klappt. Wir nehmen als Erwachsene am laufenden Band Informationen auf und verknüpfen sie mit dem, was wir darüber bereits wissen. Auch das ist Lernen. Für mich ist in den Kategorien des praktischen menschlichen Lernens diese Art des Lernens Lernen 0. Sobald wir anfangen zu denken: „Das will (muss) ich mir merken!“, verändert sich die Qualität des Lernens und wir erreichen die Stufe des bewussten Lernens. Das bewusste Speichern einer Information im Gedächtnis ist für mich Lernen I. Ich lerne und ich weiß dabei, dass ich lerne. Kennzeichnend dafür ist das bewusste Memorieren; denn wir lernen früh, dass etwas, das wir nicht vergessen wollen, mehrfach in Erinnerung gerufen werden muss, um ganz gewusst zu werden. Wer erinnert sich nicht an die Mühe, als kleines Kind fünf Sachen im Gedächtnis zu bewahren, welche die Mutter zu besorgen in Auftrag gegeben hat? Ich kam mir damals dabei dumm vor, weil ich mir das innerlich vorsagen musste, um es nicht zu vergessen und niemand sagte mir, dass das normal ist. Eine neue Stufe des Lernens erreichen wir, wenn wir ein Hilfsmittel benutzen, um das Gedächtnis zu unterstützen: *„Drei, drei, drei, bei Issus Keilerei“*, die bekannteste aller deutschen Eselsbrücken steht dafür. Oder: *„Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten!“ *Jeder Anfangsbuchstabe der neun Worte dieses Satzes steht für den Anfangsbuchstaben eines Planeten in der Reihenfolge ihrer Entfernung zur Sonne: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, Pluto. Eselsbrücke, was für ein Negativbegriff für eine gute Lerntechnik! Als müssten nur „Esel“ lernen, während die Gescheiten neues Wissen aufsaugen wie ein Schwamm. Eine ganz andere Dimension erreicht diese Art des Lernens, wenn wir uns bestimmte besondere Fähigkeiten unseres Gehirns zunutze machen und dürre Informationen wie nüchterne Begriffe mit Bildern verknüpfen, wie es im Grunde schon die alten Griechen gemacht haben. Ihre Theorien über das menschliche Lernen und Gedächtnis waren, den Möglichkeiten ihrer Welterkenntnis entsprechend, bescheiden, obgleich der heute so aktuelle Begriff der Assoziation immerhin von Aristoteles geprägt worden ist. Wer hätte das gedacht! Ihre Praxis aber war genial. Leider sind solche Fertigkeiten in den zurückliegenden Zeiten immer nur von wenigen Experten etwa zur Verblüffung der Zuschauer im Varieté oder in den letzten 40 Jahren zunehmend in Einrichtungen der Weiterbildung und genutzt worden oder für die Weltmeisterschaften im Memorieren und nicht zur Erleichterung des Lernens für die armen Kinder in den Schulen oder auch der Studenten an den Hochschulen, die mit der ungeheuren Stofffülle ihres Faches zu kämpfen haben. Das sollte sich schleunigst ändern; denn als Lernen II in meiner Definition der praktischen Lernwege ist diese Ebene von unschätzbarem Wert für Menschen jeden Alters von neun bis neunzig (und natürlich auch darüber hinaus, wenn man es denn erlebt). Beim Lernen II lernen wir bewusst den Umgang mit Werkzeugen des Lernens, die wir uns dabei aneignen, um sie für das bewusste Lernen (Lernen I) einzusetzen. Auch Lernen III ist in meinen Kategorien menschlichen Fähigkeiten zugänglich und sogar überaus spannend. Es ist die Ebene, auf der wir uns unsere geistigen Werkzeuge des Lernens selbst erfinden. So wie der griechische Liebeslyriker Simonides, der vor 2500 Jahren für seine Rhetorikschüler das entwickelt hat, was wir noch heute, soweit wir denn überhaupt etwas davon wissen, LOCI-Technik nennen, von Lokus, dem Ort, herrührend, oder Sebastian Leitner, der die Lernkartei (1972) entwickelt hat oder Tony Buzan, Erfinder der hilfreichen Mind Maps. Auch Vera Birkenbihl haben wir mit ihrem gehirngerechten Lernen viel zu verdanken und nun Gregor Staub, dem Europa-Trainer des Jahres 2003, von dessen genialen Einfällen diese Woche noch die Rede sein wird.


Ich habe ausprobiert, wie gut es funktionieren kann: Das ist eine fantastische Welt, die kennen zu lernen ich nicht müde werde weiter zu empfehlen. Vor allem auch als Selbsthilfeprogramm für burnout-gefährdete ative Kolleginnen und Kollegen (es soll fast jede(r) Dritte sein). Selbst auf die Gefahr hin, da und dort missverstanden oder der Wichtigtuerei bezichtigt zu werden. (Adi sagt: Jetzt überdrehst du aber!) Das ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal, wenn nur einige weitere Subsysteme im großen Meer der Menschheit den Faden aufnehmen und für sich und ihren künftigen Alltag das Beste daraus machen. Und wer Kinder in der Schule hat oder dort gar selbst unterrichtet, kann sich damit vertraut machen, um ihnen die gleichen Entdeckungen zu ermöglichen, unabhängig von Schulnoten und Schulart. Es geht also besonders um Lernen II und um ein wenig Lernen I (zur Anwendung in Beispielen) in dieser Woche.


Im Blog hier, genannt Kehrwoche, sollen Autoren und Freunde des Hauses Carl Auer, also der Freunde systemisch-konstruktivistischen Denkens zu aktuellen Ereignissen und Themen ihren Senf geben. Nun gebe ich zu, mit dem Thema, das ich mir für diese Woche ausgesucht habe, nicht ganz neu zu Gange zu sein. Es beschäftigt mich im Grunde mein Leben lang und um den Anfang der 1980er Jahre habe ich allmählich angefangen besser zu verstehen, wie das Lernen funktioniert, als ich mich fragte, was man in der Welt da draußen außer dem, was ich an bescheidenem Wissen dazu bisher hatte, noch über das Lernen weiß und kann. Immerhin habe ich damals schon meine Urkunde für 25 Jahre treue Lehrerjahre erhalten, hätte es also schon längst wissen müssen. Aktuell aber sind Erfahrungen, die ich seit meiner Kehrwoche zum Jahresanfang gemacht habe. Der eine oder die andere Leser(in) erinnert sich vielleicht (oder können es im Archiv nochmals nachschauen), dass ich mir vorgenommen habe, dieses Jahr das Programm des DUDEN-Tipptrainers zu absolvieren, wie man eben zum Jahresanfang sich dies und jenes vornimmt. Und nun kann ich sagen: Zu Ende bin ich damit zwar noch nicht, aber meine Finger hüpfen nun systematisch über die Tasten und nicht mehr nach dem Zweifingersuchsystem wie früher. Und ich werde es zu Ende führen, wenn auch nicht im Terminplan, den das Programm streng vorgibt. Ein schönes Gefühl, versichere ich allen Reinguckern, das völlig gefahrlos und für sehr wenig Geld, nämlich 20 € für die Programm-CD, jedermann (und jederfrau) zugänglich ist. „Für heute reicht es nun aber“, sagt Adi.