Ophelia träumt

Nachdem über Nacht das Thema, über das ich gestern geschrieben hatte und dessen erste öffentliche Bearbeitung mir dann davongeflutscht war, eher noch deutlicher im Raum steht, ist es wohl seitens meines Unbewussten nun erlaubt, einen neuen Anlauf zu nehmen... Nun denn. Seit etwa zwei Wochen hänge ich in einem Schreibprojekt, das mein Leben umzustülpen beginnt - eine Malerin hatte angefragt, ob ich für einen Katalog anstelle der sonst üblichen kunsttheoretischen Beiträge ein Gedicht machen könnte. Ich fand die Idee toll, und es begann ein erstes Ertasten von Textbausteinen, Bildern, Rhythmen. Dann war ein Thema im Raum: Ophelia, die tote Ophelia, treibend wie auf dem Bild von Edward Burne-Jones, aber neu interpretiert, nicht primär als Selbstmörderin oder Liebeswahnkranke nämlich, sondern als eine, die sich vollkommen ihrem Unbewussten überläßt.


Wie immer bei einem kreativen Projekt fängt das Thema an, den Autor zu infiltrieren. Ich träume Ophelia-Träume, erlebe die Dusche als Strömung, Reime bilden sich parallel zu Gesprächen heran, usw. Dann aber beginnt etwas zu nagen wie die Wasserratten am Fleisch der Leiche. Ein Zweifel an dem therapeutischen Gelände, auf dem ich nun seit diversen Jahren siedele und das ich mit meinen Beiträgen mitbepflanzte, wächst so unüberspürbar, dass ich ihn nicht für mich behalten kann. Konkret geht es darum, dass mir diese Therapieform, Hypnotherapie nämlich, die mir in ihrer theoretischen Ungefügtheit und Durchlässigkeit immer als ideal für ein kreatives und radikal am Individuellen orientiertes Behandeln erschien, je mehr sie an Anerkennung gewinnt, desto gefährdeter erscheint.


Welche Gefahr? Nun, es kommt mir vor, als müsse ein therapeutische Gelände seine Sümpfe, seine Bachläufe gar zunehmend leugnen und um den Preis, für eine Erfolgsstory tauglich zu sein, würde das Heikle, das Subversive, das am Unbewussten Orientierte allmählich verschwinden. Und mit jeder Meldung "Hypnotherapie hilft bei..." wird dieser Eindruck stärker.


Man wird gewiss kommentieren können, dies sei immer der Preis, den die Popularisierung einen Entwurf koste. Und das stimmt. Die Psychoanalyse hat ja vorgemacht, wie sich die Erfolgsstory in eine Selbstkarikatur verwandelt und wie das, was einst Zündstoff war, nurmehr für kleine Heizöfchen taugt. Aber nicht immer ist der Preis so deutlich zu spüren, nicht immer das Gefühl so deutlich, hier stimme etwas nicht.


Stimme nicht mit mir, wohlgemerkt, mit dem Schreiber also, in dem sich etwas vollzieht. Ich sollte vielleicht noch sagen, dass ein anderes Arbeitsprojekt, die Begründung einer Neo-Hypnoanalyse nämlich, deren Grundriss bis zum Sommer in Manuskriptform vorliegen soll, von dieser Krise mitbetroffen ist. Wenn ein Thema, wenn ein Schreibprozess wirklich ins Leben eingreifen, dann ist dies Leben nach dem Fertigstellen der Arbeit ein anderes. So etwas habe ich zweimal erlebt; einmal bei meinem Psychosen-Buch, mit dem eine Reihe von Krisen parallel ging, in denen sich das Thema spiegelte, und dann bei "tango mit mir", das von der Urgewalt einer großen und paarsam auf die Dauer nicht zu lebenden Liebe durchzogen war: Und folgerichtig trafen Trennung und Fertigstellung des Manuskripts denn auch zusammen.


Was nun mag sich an Ophelia anhängen? Wird sie, die Treibende, deren Selbsttötung ich als einen Selbstentwurf, eine am Unbewussten orientierte Selbstkreation auffasse, das Buchprojekt und seinen Autor gefährden? Gibt es am Ende einen Gedichtzyklus (aus dem in Auftrag gegebenen einen Sonett sind inzwischen acht geworden) , und zweihundert Seiten Theorie haben angesichts der Wasserleiche keinen Bestand mehr? Ich bin, ehrlich gesagt, beunruhigt.