Schirrmacher

Frank Schirrmacher, einer der Herausgeber der FAZ, ist tot. Ich kannte ihn persönlich nicht näher, so dass ich hier keinen Nachruf schreiben kann. Außerdem sind die Zeitungen voll davon. Ich bin ihm nur einmal persönlich begegnet und wir waren uns in unserem kurzen Gespräch schnell einig, dass die Finanzmärkte geregelt gehören.


Was ihn aber aus meiner Sicht bemerkenswert macht und warum sein Tod ein Verlust für die öffentliche Debatte ist, scheint mir seine politische Entwicklung und seine Funktion in der öffentlichen Debatte zu sein.


Seit 25 Jahren hatte er eine verantwortliche Rolle bei der FAZ inne. In den ersten 15 Jahren ist er m.E. nicht besonders auffällig geworden. Er hat Ansichten vertreten, wie man sie in der FAZ erwartet. Auch seine ersten Bücher über die zunehmende Überalterung unserer Gesellschaft (z.B.) fand ich eher dem Main-Stream entsprechend.


Eigentlich erst seit der Finanzkrise fielen mir seine Artikel und Positionen auf, weil sie nicht mehr den klassischen Ansichten der konservativen Leser und Schreiber der FAZ zu entsprechen schienen. Schirrmacher entwickelte sich zu einem prominenten Kritiker neoliberaler "Wahrheiten". Später wurde er dann auch zum Datenschützer, der misstrauisch auf die Sammelwut der großen US-Konzerne blickte und sich generell mit den Folgen der Digitalisierung (etc.) auseinander setzte.


Was mir an ihm bemerkenswert erschien und immer noch erscheint, ist, dass jemand, der über institutionalisierte Macht verfügt (Herausgeber der FAZ), nicht angepasst und ängstlich den Schwanz einzieht, um nicht aufzufallen (die Angst der formal Mächtigen beeindruckt mich immer wieder), sondern diese Macht nutzt, um gegen den Strom zu schwimmen. Ich kann ja verstehen (oder zumindest nachvollziehen), wenn Leute, die noch Karriere machen wollen, sich nicht öffentlich kritisch mit dem gesellschaftlichen oder organisationalen Status quo auseinandersetzen. Aber, was ich nicht verstehe, ist, dass diejenigen, die es nach oben geschafft haben, immer noch ängstlich um Anpassung an die Erwartungen ihrer Peers bemüht sind. Alles Schisser. Und das war Schirrmacher offensichtlich nicht.


Insofern ist es wirklich ein Verlust, denn er hätte sicher noch einige andere Themen mit seiner Neugier und Skepsis prominent machen können. Journalisten schreiben nun einmal in erster Linie voneinander ab: die Selbstreferenzialität der Presse. Von außen lassen sich daher neue Themen nicht leicht platzieren. Nur ein Insider kann Outsider-Positionen in die Kommunikation bringen. Und in dieser Funktion wird Schirrmacher fehlen.


[Dass sich meine Meinung über ihn so positiv entwickelt hat, mag allerdings auch daran liegen, dass er mir zu meinem Buch "Einführung in die systemische Wirtschaftstheorie" eine begeisterte Mail geschrieben hat und mich zum Schreiben eines Artikels für eine FAZ-Serie "Zukunft des Kapitalismus" aufgefordert hat (was ich dann auch getan habe).]