Schuld und Schulden

Es fällt ja auf, dass viele nichtdeutsche Kommentatoren der Griechenlandkrise auf die vermeintliche Identifikation von Schuld und Schulden im Deutschen verweisen.

Mir scheint, dass sie hier einen wichtigen Punkt ansprechen, allerdings etwas anders, als sie es meinen.

Ich denke, wenn man interpersonale Beziehungen untersucht, dann geht es oft um die Bilanzierung von wechselseitigem Geben und Nehmen. Wer einem anderen etwas Gutes tut, hat beim ihm "etwas gut"... usw. Solch offene Rechnungen sorgen dafür, dass die Beziehung nicht einfach beendet werden kann, d.h. es bleiben Verpflichtungen offen, die abgearbeitet werden müssen, auch wenn sie meist nicht vor Gericht eingeklagt werden können.

Die Zahlung von Geld für erwiesene Dienste oder gelieferte Produkte hat die wunderbare Funktion dafür zu sorgen, dass die Beziehung mit dieser Transaktion beendet werden kann (d.h. nicht muss) und kein Schatten der Zukunft mitgeschleppt werden muss und keine Bindung entsteht.

Wenn jemand jemandem etwas schuldet, so ist das nicht unbedingt im Sinne einer bösen Tat zu verstehen, die der eine dem anderen angetan hat, sondern im Sinne des Beziehungsgleichgewichts. Es kann auch heißen, dass der eine dem andern Gutes angetan hat.

Wenn Geben und Nehmen in Beziehungen nicht balanciert sind, so weckt das erfahrungsgemäß ziemlich starke Emotionen.

Das scheint zwischen Nationen bzw. ihren Vertretetern ähnlich zu funktionieren.

Das Grundproblem ist, dass beim Geben und Nehmen in Beziehungen kein objektivierbarer Maßstab zugrunde gelegt wird bzw. werden kann, da jeder der beteiligten Beobachter seine eigenen Kriterien anlegt und dementsprechend das Geben und Nehmen jeweils anders bewertet als sein Gegenüber (siehe ausführlich "Radikale Marktwirtschaft").

Der erkenntnistheoretische Irrtum ist, es ginge bei Finanz-Krediten, bei Schulden etc. um objektive Werte. Auf diese Weise wird davon abstrahiert, welche Kollateralschäden von Schuldentilgungsprogrammen à la Troika ausgelöst werden. Es bleibt die Selbstgewissheit des Gebers, im Recht zu sein...