Terror als Krankheit

Ich sitze gerade im Zug und fahre von einer kleinen, von Dirk Baecker an der Uni Witten organisierten Soziologen-Tagung zum Thema Terror nach Hause. Zwei Tage mit anregenden Vorträgen und Diskussionen, die mir in Erinnerung gerufen haben, dass Dirk Baecker, Peter Krieg und ich im Jahre 2001 schon einmal ein Buch zu diesem Thema publiziert haben (obwohl der Ausdruck publiziert etwas vermessen ist, da die Öffentlichkeit es nicht zur Kenntnis genommen hat und es wahrscheinlich das schlechtest verkaufte Buch des Verlags war), das - wie mir scheint - gar nicht so schlecht war (ehrlich gesagt: Es war richtig gut, ich bin nur zu bescheiden, das hier so deutlich zu sagen).


Aber zurück zu der Tagung und einer mitgenommenen Anregung, die ich hier ein wenig weiter verfolgen will. Wenn Terror eine Form der Beobachtungserzwingung ist und diesem Effekt seine Attraktiität verdankt, dann wird sich  heute in unserer westlichen Gellschaft nicht verhindern oder kontrollieren lassen, dass "Terrorakte" (ich setze das Wort schon mal in Anführungsstriche) beobachtet werden. Die Massenmedien (CNN etc.) leben ja davon "Breaking News" zu zeigen. Was sich m.E. aber beeinflussen lässt, ist die Deutung "terroristischer" Akte, d.h. wie sie beobachtet werden. Wenn man ihnen den politischen oder auch religiösen Charakter abspricht, am besten nicht einmal mehr den Begriff Terror oder Terrorismus verwendet, dann könnte es gelingen, die Attraktivität des "Terroraktes" für den Akteur zu reduzieren. Es geht - wie in der Psychosetherapie - darum das nicht verstehbare und die erwartete Ordnung störenden Verhalten zu normalisieren. Die Zuschreibung solcher Akte zu religiösen oder politischen Motiven stärkt den "Terrrorismus", weil er eine symmetrische Beziehung (was m.E. das Ziel der "Terroristen") zu den Vertretern des Gewaltmonopols (= Staat) anbietet. Der Boden auf dem "Terrorismus" wächst, sind m.E. asymmetrischen Beziehungen (=Machtbeziehungen), die nicht aktzeptiert werden und durch Symmetrie in Frage gestellt werden/würden. Das tun sie aber nur, wenn man sie so deutet. Deshalb ist der "Krieg gegen den Terror" schon der Sieg der "Terroristen", weil sie dann nämlich die Symmtrie der Kriegsgegner, die um die Macht kämpfen, erreicht haben, d.h. die etablierte Macht bekennt, an ihre Grenze geführt worden zu sein, so dass sie um sie kämpfen muss.


Alternative: Den "Terrorakten" keine die Asymmetrie der Beziehung zu den Akteuren in Frage stellende Zuschreibung gönnen, sondern sie insofern "normalisieren", dass man sie als "krank", "kriminell" oder wie auch immer  etikettiert werden - aber stets im Rahmen alltäglich verwendeter Deutungsschemata und in die etablierten Ordnungssysteme passend. Wenn an die Stelle des Schreckens vor gnadenlosen Gotteskriegern das Mitleid mit armen Irren tritt oder die zu sanktionierende Tat eines drogendealenden Kleinkriminellen, dann verliert der "Terror" buchstäblich seinen Schrecken. Die gesellschaftliche Ordnung wird durch Amok laufende tunesische Kleinkriminelle nicht in Frage gestellt. Und das Image solcher Kleinkrimineller, ob sie nun "Allahu akbar" rufen oder "Lang  lebe das Spaghettimonster!", ist sicher nichts, was orientierungslosen Jungmännern eine erstrebenswerte Identität anbieten würde.


Lasst uns Terroristen "normalisieren", indem wir ihnen den Sonderstatus gegenüber anderen Leuten, die abweichendes Verhalten produzieren, verweigern. Wir steigen ja auch weiter in Flugzeuge, obwohl ein Pilot der Germanwings seine Maschine gandenlos gegen einen Berg gesteuert hat. Kein "Terrorakt" - oder?


(Dazu  auch ein Artikel auf SPON)


Quelle: Radikalisierung als Krankheit: Ist Islamismus heilbar? - SPIEGEL ONLINE