Video-Installation

In Berlin findet zur Zeit noch die Kunst-Biennale statt. In verschiedenen Gebäuden in der Auguststrasse sind die Werke einer großen Zahl junger Künstler zu sehen. Man braucht Zeit, um sich das alles zu Gemüte zu führen. Am interessantesten sind m.E. die Arbeiten, die in der alten jüdischen Mädchenschule gezeigt werden.


Schon allein der Ort ist einen Besuch wert, und deswegen wird man wohl auch wie an Flughäfen durch einen Metalldetektor geschleust, bevor man sich auf den Weg durch die vier oder fünf Stockwerke machen kann.


Eine der Video-Installationen (wieso das Installation heißt, ist mir auch nicht klar, denn es war einfach ein Film, der gezeigt wurde) hat mich fast eine Stunde festgehalten. Ich kam etwas zu spät, so dass ich nicht weiss, ob am Anfang ein Titel oder die Gebäude, in denen sich die Handlung abspielte, gezeigt wurden. Was ich sah, war der wohlgeordnete Alltag von einigen älteren Damen. Sie lebten in Räumen, wie sie wahrscheinlich meine Großeltern von 100 Jahren bewohnt haben mochten. Die Möbel: gediegene Handwerksarbeit. Sie waren schwer, edles Holz, für die Ewigkeit gemacht. Dicke Teppiche, Tapeten mit kunstvollen Ornamenten. Was mochten das für Frauen sein, zunächst nur zwei, grauhaarig, weit über 70 Jahre alt? Als sie in der Küche waren, kam noch eine etwas jüngere Frau hinzu, deren Haare noch schwarz waren. Hochherrschaftliche Räume erfordern Herrschaften. Zwei Witwen und ihre Hausangestellte? Ein Damenstift? In der Küche wurden sie beim gemeinsamen Kneten von Teig gezeigt, in aller Ausführlichkeit. Das Kochen von Wasser und Zubereiten von Tee. Wäschebügeln, Frotteehandtücher, erst die eine Seite, denn die andere Seite, dann zusammengefaltet, drüber gebügelt, nochmals gefaltet, kurz mit dem Eisen drüber, nochmals gefaltet, nochmals nachgebügelt, nochmal gefaltet, weg gelegt. Das nächste Handtuch, wieder die ganze Faltdramaturgie, von Anfang bis Ende - und da waren noch viele Tücher im Korb, aber deren Gebügel wurde nicht mehr gezeigt. Staubsagen der Zimmer, jede Ecke des Teppichs, Zimmer für Zimmer. Eine Pause, in der Tee getrunken wurde. Es waren inzwischen auch einige andere, ebenso alte Damen hinzugekommen. Bei all dem wurde geredet, Englisch, aber nicht wirklich verständlich. Drei der Damen sehen sich schließllich ein Fußballspiel an, der Kommentator ist gut zu verstehen, Cockney-Dialekt. Blick in den Garten, die Schwarzhaarige schneidet Rhabarber, eine Kirche im Hintergrund. Ein Kloster? Das Fußball-Match geht weiter. Danach sitzen fünf alte Frauen auf einer Bank und singen, jede mit einem Gesangbuch auf den Knien, eine trägt eine schwarze Schwesternhaube, das ganze Lied, ohne Abkürzungen. Danach ein gemeinsames Gebet. Von Anfang bis Ende. Der Tag neigt sich. Alle tragen jetzt Häubchen, steigen in ein Auto und fahren weg - in die Kirche? Die Sonne draußen geht unter, drinnen bleiben die leeren Flure. Lange, sehr lange, der Schein der untergehenden Sonne in den Fenstern...


Ohne Kontextinformatinen war es für mich erst sehr spät möglich, aus den gezeigten Verhaltensweisen dieser Damen zu schließen, in welcher Beziehung sie zueinander standen, was das für einen Ort, welche Institution ich da beobachtete. Auffallend war der Altersunterschied, der eine der Frauen - die schwarzhaarige - heraushob. Es gab keine Männer. Die Hausarbeit wurde in all ihrer schrecklichen Mühseligkeit und Relevanz gezeigt. Das Plätten der Frotteehandtücher (die braucht man eigentlich doch gar nicht zu bügeln?) hat mir fast körperlichen Schmerz bereitet. Langsamkeit in ihrer konsequentesten Form. Der Film dauert 60 Minuten, und ich konnte mich nicht von ihm lösen, mußte bis zum bitteren Ende bleiben. Fasziniert, keine Ahnung, warum...


Tacita Dean: Presentation Sisters, 2005, Kunst-Biennale, Berlin 2006 (bis 28. Mai, Auguststrasse 13-15)