Warum der Terror vergeblich ist...

Klar, was in Paris geschehen ist, erschüttert uns alle. Und für diejenigen, die dabei ums Leben gekommen sind, und ihre Angehörigen, lässt sich nichts Schlimmeres denken.


Aber die gesellschaftlichen, Folgen sind wahrscheinlich weit weniger destruktiv, als es die Terroristen erhoffen. Denn solche Anschläge verursachen zwar - weil sie so überraschend und unerwartet sind - den beabsichtigten unmittelbaren Schrecken, aber langfristig sorgen sie in der Regel nicht für Chaos, sondern für die Steigerung der eh schon bestehenden Ordnung bzw. der ihr zugrunde liegenden gesellschaftlichen Handlungslogik. Für erwartbare Risiken und Gefahren entwickeln soziale (wie auch psychische) Systeme Routinen der Bewältigung und Abwehr, d.h. wenn die Risiken sich realisieren, dann wird ein Automatismus abgerufen, so dass es zu keiner Auflösung der bstehenden Ordnung kommt, sondern zur programmierten Abwehrreaktion bzw. es werden schon im Vorfeld Präventionsmassnahmen ergriffen oder Strukturen ergriffen.


Ich erinnere mich z.B. noch, dass ich in den 60er und auch 70er Jahren noch ohne jede Personen- oder Gepäck-Kontrolle in Flugzeuge gestiegen bin. Nachdem die ersten Bomben mit an Bord genommen wurden, änderte sich dies. Beispiel für das Lernen von sozialen Systemen.


Und dieser Lernmechanismus sorgt dafür, dass wir langfristig mit Gelassenheit auf den Terror schauen können. Denn, um den Schrecken dauerhaft aufrechtzuerhalten, müssen immer wieder neue Terrorakte vollzogen werden. Als einmalig erlebter bzw. konzeptualisierter Schrecken hat keine strukturellen Folgen, d.h. er wird vergessen. Was nicht aktiv erinnert wird (der Terrorakt), ist vergessen.


Als ich in den 70er Jahren in Paris war, gab es auch gerade eine Terrorwelle. Damals wurden alle Papierkörbe zugeschweißt, damit dort keine Bomben deponiert werden konnten. Jahrzehntelang war dann nichts mehr in der Hinsicht "los", so dass die Papierkörbe wieder geöffnet wurden und kaum noch irgendwas an die Terrorzeit erinnerte. Vertrauen als Mittel der Komplexitätsreduktion ist einfach ökonomischer (finanziell wie psychisch) als Angst und Kontrolle, so dass es sich langfristig durchsetzt. Mißtrauen und Angst bedürfen der aktiven Erhaltung, was Kreativität, Motivation, Geld, Energie, Organisation usw. erfordert. Und das dürfte auch für die Aktionen des IS längerfristig gelten. Wer erinnert sich heute außer ein paar nostalgischen Alt-68ern noch an die RAF?


Aus diesem Grund sind Terrorakte zwar im Moment - und für die unmittelbar Betroffenen sicher auch langfristig - wirksam, um eine die aktuelle Lebensweise erschütternde Wirkung zu erzielen, aber auf der gesellschaftlichen Ebene wirken sie paradox: Sie führen zu dem, was die Täter (wie ich unterstelle) bekämpfen wollen: zur Stabilisierung des Status quo.


So kann es jetzt dazu kommen, dass sich eine große Koalition der IS-Gegner bildet, zu der dann sowohl die Russen als auch die Amerikaner, sowohl die Iraner als auch die Saudis gehören - und das dürfte dann das Ende des IS besiegeln... (hoffe ich jedenfalls).


Wer mehr zu systemischen Perspektiven auf den Terrorismus erfahren will, sei auf das von Dirk Baecker et al. herausgegebene Buch "Terror im System" (2001) verwiesen. Ein von mir verfasstes Kapitel daraus ("Was ist Terror?"/nachgedruckt bzw. aktualisiert in: "Wenn rechts links ist...") wird demnächst auf der Carl-Auer-Website zu lesen sein.