Warum ich für die GDL bin

Alle schimpfen auf die GDL und ihren Vorsitzenden, Herrn Weselsky. Ich kann das zwar verstehen, nehme hier aber trotzdem Partei für ihn, weil ich denke, es ist gut, dass in Deutschland endlich mal wieder auffallend gestreikt wird: Jedes marktwirtschafliche System braucht Streiks, schon damit nicht vergessen wird, dass es so etwas gibt...


In den letzten zwanzig Jahren ist in Deutschland kaum noch gestreikt worden. Das wurde und wird allgemein gelobt und als Zeichen der "Reife" und des "Verantwortungsbewußtseins" der Gewerkschaften interpretiert. Nur massvolle Lohnerhöhungen, keine weiteren Forderungen nach Verkürzung der Arbeitszeit usw.


Mir scheint diese Deutung problematisch. Viel eher scheint mir die Zahmheit der Gewerkschaften Folge einer gravierenden Machtverschiebung hin zu den Arbeitgebern im Rahmen der Globalisierung.


Die Macht der Arbeitnehmer basiert auf ihrer Solidarisierung. Wo der einzelne austauschbar, ist die Arbeitnehmerschaft insgesamt nicht austauschbar. Deshalb ist ihre Organisation in Form von Gewerkschaften die einzige Möglichkeit, eine Gegenmacht zu den Arbeitgebern aufzubauen. Wo, wie in den letzten zwanzig Jahren, die Produktion in Billiglohnländer verlagert werden kann, können die Gewerkschaften nichts mehr bewirken.


Das Ergebnis ist, dass die erwirtschafteten Produktivitätssteigerungen etc. nicht mehr angemessen zwischen den Eigentümern ("Kapital") und Beschäftigten ("Arbeit") verteilt werden. Das ist im Blick auf das Überleben von Unternehmen, die langfristig allen ihren Stakeholdern gerecht werden müssen, nicht wirklich intelligent.


Hier kommen nun die Lokführer ins Spiel. Die deutsche Bahn kann nicht in ein Billiglohnland verlagert werden, daher kann ihre Gewerkschaft ihre Ziele machtvoller vertreten als die Gewerkschaften in Produktionsbetrieben. Sie wäre blöd, wenn sie diese Möglichkeiten nicht nutzen würden. Und vier Tage Streik sind nicht wirklich viel, wenn ich an die Zeiten von ÖTV-Chef Klunker ("Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr") denke, der in den 70er, 80er- Jahren die Müllabfuhr wochenlang hat streiken lassen... (goldene Zeiten der Gewerkschaftsbewegung).


Wenn jetzt der Verkehr in Deutschland lahm gelegt wird und die Sicherheit der Verkehrs-Infrastruktur in Frage gestellt ist, dann liegt das ja nicht primär daran, dass hier eine (oder mehrere) Interessengruppen ihre partikularen Interessen durchzusetzen versuchen, sondern dass die Bahn privatisiert wurde. Wenn Lokführer Beamte sind, dürfen sie nicht streiken. Wenn aber privatisiert wird, dann ist die Bahn ein Unternehmen wie jedes andere. Problematisch wird daher ein Streik nur, wenn de facto weiterhin das Quasi-Monopol der Bahn besteht. Gäbe es weniger Beschränkungen für die Mitbewerber der Bahn (z.B. ein staatliches Netz, das der DB keine Vorteile gewährt), so könnten die potentiellen Bahnfahrer jetzt auf andere Betreiber umsteigen. Der Boom der Busunternehmer zeigt dies. (Sixt hat heute u.a. eine ganzseitige Anzeigen in der Süddeutschen Zeitung mit dem Foto des GDL-Vorsitzenden und dem Titel "Mitarbeiter des Tages").


Es ist nur zu hoffen, dass der DB nicht erlaubt wird, jetzt alle Bahnbuskonkurrenten aufzukaufen, um diesen Wettbewerb zu verhindern. Dass er nützlich ist, zeigt sich u.a. darin, dass dieses Jahr zum ersten Mal seit Jahren nicht (!) die Preise für die zweite Klasse erhöht wurden, sondern nur für die erste Klasse. Erste Klasse Passagiere steigen weniger auf Busse um, so offenbar das Kalkül.


Also, liebe GDL, zeig der Bahn und der Öffentlichkeit, dass der DB ein Monopol nicht erlaubt werden darf, wenn ihre Leistung nicht (!) als lebensnotwendiger Infrastrukturerhalt bewertet wird. Sollte das hingegen der Fall sein, könnte ja vielleicht die Wiederverstaatlichung der Bahn der Weg sein (nicht meine preferierte Lösung, gebe ich zu - ich bin für mehr Wettbewerb und Unternehmertum; aber die DB macht werde das eine noch das andere richtig).


Übrigens scheint Hartmut Mehdorn immer noch in der Bahn zu agieren. Im Fernsehen tritt der Personalvorstand der DB auf, der Mehdorns Stimme weiter verwendet. Es ist geradezu unheimlich, einen anderen kleinen Mann, der sich äußerlich doch ein wenig von Mehdorn unterscheidet, mit Mehdorns Stimme reden zu hören. Wie in Alice's Wunderland, wo die Cheshire-Katze verschwindet, aber ihr Lächeln zurück bleibt. Mehdorn ist verschwunden, aber seine Stimme ist geblieben. Ich befürchte allerdings, auch sein Geist...