Wozu wann wie bauen

In der Berlinischen Galerie findet seit gestern eine Ausstellung zu den während der letzten 40 Jahre erstellten Berliner Bauten des Architekturbüros von Gerkan, Marg und Partner statt. GMP gehören zu den erfolgreichsten deutschen Architekten und sie sind weltweit tätig mit Büros in Shanghai, Peking, Dubai und vielen anderen interessanten Gegenden der Welt.


Ihre Bauten in Berlin kennt jeder Architekturbenutzer, ob wer will nicht. Man kann eigentlich gar nicht nach Berlin kommen, ohne durch von ihnen gestaltete Räume zu kommen. Das beginnt beim Flughafen Tegel, der von 40 Jahren erbaut wurde, geht über die C&A-Filiale am Kuhdamm, das reanimierte und bedachte Olympiastadion, das skandalumwitterte Tempodrom, bis hin zum neuen Hauptbahnhof (Lehrter Bahnhof).


Sie haben das Bild der Stadt stark mitgeprägt, so dass man kaum vermeiden kann, sich beim Betrachten der Ausstellung Gedanken darüber zu machen, welche jeweils aktuellen Ideen, Denkweisen, Problemdefinitionen, Werte, oder allgemeiner: Themen, in der Architektur einer Zeit ihre Versteinerung finden.


Beispiel Flughäfen: Vor 40 Jahren dachte man offensichtlich noch, der Sinn eines Flughafens sei, den Fluggästen ein möglichst schnelles und unkompliziertes Erreichen des Flugzeugs zu ermöglichen. Deshalb sind in Tegel die Wege kurz, man kann mit dem Taxi fast bis zum Gate fahren und direkt das Flugzeug betreten.


Heute ist die Situation ganz anders. Vor 40 Jahren gab es – der Fortschritt ist nicht aufzuhalten – noch keine Flugzeugentführungen. Bezieht man die Notwendigkeit ein, jedem Passagier aus Sicherheitsgründen an die Wäsche zu gehen, ist Tegel wahrscheinlich nicht optimal – weder sicherheitstechnisch noch ökonomisch. Man braucht an jedem Gate Durchleuchtungsmaschinen, Sicherheitspersonal usw. Zentralisierung des Gefummels ist ökonomisch sinnvoller (wenn auch nur für den Flughafenbetreiber, nicht den Passagier).


Außerdem kommt noch hinzu, wie die Architekten selbst anmerken, dass die Auftraggeber heute Flughäfen prinzipiell so konzipiert haben wollen, dass die Passagiere möglichst weite Strecken laufen müssen, um an möglichst vielen Läden vorbei zu kommen, damit sie möglichst viele Sachen kaufen, die sie möglichst wenig brauchen...


Ähnliches gilt auch für Bahnhöfe. Deswegen wird demnächst wohl der Bahnhof Zoo, der extrem gut in das Berliner Nahverkehrssystem eingebunden ist, vom Fernverkehr abgekoppelt, damit möglichst viele Leute möglichst lange Wege, an den Läden des neu entstehenden Hauptbahnhofs vorbei, ... usw. (s. oben).


Überhaupt scheint es ein Summen-Konstanz-Gesetz der Bahn zu geben, dass darin besteht, sehr teure Rennstrecken für den ICE zu bauen, um so die eine oder andere Viertel Stunde im Fernverkehr zu sparen, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, dass diese Zeit dann wieder im Nahverkehr verloren geht.


All dies könnte man Herrn Mehdorn (obwohl diese Personalisierung ungerecht sein dürfte) ja verzeihen. Was ihm nicht verziehen werden darf, ist, dass er beim neuen Berliner Hauptbahnhof aus Kostengründen die Haupthalle vorne und hinten hat abschneiden lassen. Das ist ästhetisch ein Verbrechen (die Architekten leiden hörbar unter dieser Verstümmelung). Ein solcher Mangel an Gestalt-Urteil, die schwachsinnige Idee, man könne quantitative Änderungen ohne qualitativ desaströse Folgen vornehmen... Als ob ein Landesfürst, der die Komposition eine Oper in Auftrag gegeben hat, aus Kostengründen beschließt, die Ouvertüre und den letzten Akt zu streichen ("zu viele Noten!").


Eine zivilisierte Gesellschaft werden wir wohl erst sein, wenn Herr Mehdorn (oder wer immer Vergleichbares zu verantworten hat) aus Gründen ästhetischer Blödheit aus dem Verkehr gezogen wird. Wir sollten unsere Aufmerksamkeit mehr ästhetischen als politischen Skandalen widmen, oder besser: ästhetische als politische verstehen und behandeln.


Um zur Ausstellung zurück zu kommen: Ein Highlight sind die Fotos der Bauten. Der Fotograf (Marcus Bredt) nimmt von den traditionellen Kriterien der Architekturfotografie Abschied („Dummerweise laufen mir immer wieder Leute ins Bild“) und setzt die Gebäude als Elemente von Lebenswelten in Szene.


Bislang wurden Gebäude meist kontextfrei abgebildet, als wären sie für das Labor gebaut oder für eine Bauausstellung, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Als würden sie durch Nutzung entweiht. Das ist hier ganz anders. So bekommt sogar tonnenschwerer Beton etwas Poetisches (wie manchmal im richtigen Leben).