Zwei Kulturen

Vor ein paar Tagen habe ich den Vortrag eines mir bekannten ehemaligen Vorstandsvorsitzenden, jetzt Aufsichtsratsvorsitzenden eines Technologiekonzerns zum Thema Führung gehört. Was er da über seine erfolgreich praktizierten Umgangsweisen mit Mitarbeitern erzählt hat, klang alles sehr sympathisch - und offensichtlich war er damit auch ökonomisch erfolgreich. Um es auf einen Nenner zu bringen: Er hat die Personen, mit denen er zu tun hatte, sehr ernst genommen, ihnen viel Freiraum eingeräumt, sie als verantwortungsvolle und -fähige Individuen betrachtet und ihnen Vertrauen entgegen gebracht (wenn auch kein blindes, sondern eines, das durchaus revidiert werden konnte, wenn die o.g. Vorannahmen sich nicht bestätigten).


Was der blinde Fleck seiner Darstellung war, ist die Organisation. Er hat seine gesamten Erfolgsstrategien als Ergebnis der Person-zu-Person-Kommunikation gesehen und bestenfalls noch (sehr diffus) von Kultur gesprochen, ohne zu sehen, dass eine Organisation den Kontext für seine persönliche und personenbezogene Führungsstratefie bildete. Keine Spur von Organisationstheorie weit und breit. Was wieder einmal zeigt, dass man keine Theorie braucht, um erfolgreich zu handeln (so wie man erfolgreich sein Familienleben leben kann, ohne eine Theorie der Familie zu haben). Allerdings sind dann die Verallgemeinerungsmöglichkeiten der eigenen Erfahrung dann begrenzt.


Dass es ausgesprochen gefährlich sein kann, wenn man ein Weltbild hat, das nur Person-Person-Beziehungen in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt und nicht soziale Systeme bzw. deren Eigengesetzlichkeit, zeigt ein Artikel im Guardian, in dem reflektiert wird, wie die Heroen/Gründer der gegenwärtigen Tech-Konzerne unsere politische Landschaft - offenbar eine nicht-intendierte Nebenwirkung - verändert haben. Die Technik punktgenau auf Einzelne zugeschnittener Werbebotschaften von Google oder Facebook, kann und wird zu politischer Agitation verwendet. So kommt es zu bislang ungekannten Beeinflussungsmöglichkeiten, welche die Grundlage der bestehenden demokratischen Systeme radikal verändern. (Deswegen sind Referenden m.E. auch so gefährlich.)


Der Autor des Artikels erklärt diese Entwicklung mit Hilfe der Zwei-Kulturen-Theorie von C. P. Snow. Mit anderen Worten: Hier sind technisch hoch intelligente Menschen am Werk, die sozial und/oder politisch als Idioten handeln.


Quelle: How a half-educated tech elite delivered us into evil | John Naughton | Opinion | The Guardian