Hingabe als Beginn von Bewegung

Bei der Verleihung des deutschen Filmpreises am vergangenen Wochenende beeindruckte mich der für die beste Nebenrolle ausgezeichnete Schauspieler Michael Gwisdeck durch seine einziartige und unverkennbare Lebendigkeit im körperlichen Ausdruck. Er ist einfach überzeugend im Ausdruck. Er ist "der" Ausdruck. Direkt, wie kaum jemand anders schaut er sein Gegenüber, das Publikum, an, ohne es zu vereinnahmen. Seine Mimik korrespondiert mit dem Kopfschaukeln, getragen von einer seltsamen Leichtigkeit, durch die er die Eindringlichkeit seines Blickes zu besänftigen sucht. Er zielt auf den Kern seiner wohl platzierten Aussage, um sein Gegenüber dann wieder mit einem ihm typischen Schwung mitzureißen. In den Bann zu ziehen. Mitzureißen, ohne dass man sich dem entziehen könnte.


In seiner kurzen Ausführung offenbarte er sein Innerstes und ein zentrales Dilemma von Schauspieler-Sein. Auch noch in seinem Alter von 71 Jahren kann er nicht anders als sich zu bewegen, in Bewegung zu sein und zu bleiben. Er ist Bewegung. Und das sei ganz natürlich für ihn. Natürlich, weil Bewegung ein unverzichtbares Merkmal von Schauspielerei sei, betonte er.


Er, der"coolste Hund des deutschen Kinos" würde sich ständig "die Seele aus dem Arsch spielen".  Man glaubt ihm dies unbesehen. Um dann aber mit der gleichen messerscharfen Eindringlichkeit an das zentrale Dilemma des Schauspielers zu erinnern: weil dann nämlich einer käme, der einem einfach so sagt "das glaub ich Dir nicht".


Dieser "einer" sei übrigens sein Sohn gewesen, der ebenfalls für die beste Nebenrolle nominiert war. Dieser "einer" saß Michael Gwisdeck im Publikum gegenüber. Der Vater sprach somit zu seinem Sohn.


Gwisdeck ist nun kaum noch zu halten. Obwohl er zu seinen Abschlußworten ansetzt, treibt ihn sein Bewegungsdrang über die Bühne. Immerfort. Von rechts nach links und zurück. Dabei schwingt sein Oberkörper wie ein wehendes Tuch. Für einen Moment frage ich mich, wer wen bewegt. Gwisdeck das Tuch oder das Tuch den Schauspieler. Um dann meine Gedanken dem wehenden Tuch zu überlassen.


Man ehrt ihn in der besten Nebenrolle wegen seiner so unspektakulräen Fühigkeit zur Hingabe.


Ein seltsamer, ihm schon typischer nicht-bewußter Impuls, kennzeichnet diesen Mann, diesen Schauspieler, der - nun was spielt er da eigentlich? Was turnt er da bei einer festlichen Gala über die Bühne. Wie angestochen wirkt er. Er, der mit seiner rauchigen Stimme beinah das Mikrophon ablegen könnte und die Menschen dennoch erreicht.


Mich hat er in der Frage erreicht, wie es wohl um den Beginn von Bewegung steht. Was es mit dem Impuls wohl auf sich hat, der unweigerlich in Bewegung mündet. In eine so vitale Bewegung, deren Wesen diesen Mann ausmacht.


Uns alle wohl ausmacht. Unterscheiden wir uns doch in der Art unserer individuellen Bewegung, dem jeweils persönlichen Ausdruck von einander. Dem Ausdruck, der uns vom anderen ähnlich unterscheidbar macht wie ein Finderabdruck sich vom anderen unterscheidet.


Aber eins ist klar: der Kern, der Beginn von Bewegung ist uns gleich, macht uns gleich.