Die Arbeitsspitzen optimieren (2)

Kuhlmanns Interesse am Coachingprozess, nämlich seine Arbeitsspitzen zu optimieren, spiegelt ein typisches aktuelles Spannungsfeld von Führung, äußerer Belastung, psychischer Beanspruchung und kommunikativer Angstabwehr.


 Auf meine Frage, wie es ihm denn so um 23 Uhr, wenn all die anderen Büros leer seien, ginge, äußerte er seine Erleichterung, dann endlich mal in Ruhe auch mal was zu Ende bringen zu können. Die ständigen Unterbrechungen, das Tempo des Tagesgeschäfts, sowie das Bemühen ein guter Chef für seine Mitarbeiter sein zu wollen, würden ihm schon zusetzen. Aber wer ist denn nicht auch in solch einer Situation erschöpft, unterstreicht er seine Auffassung, dass alles eben normal, weil üblich, sei.


Unaufgeregt bitte ich ihn doch mehr davon zu erzählen. Ich würde mir das gerne konkret vorstellen wollen, um zusammen mit ihm zu schauen, wo die Reise hin gehen könnte.


Ebenso unaufgeregt schilderte er mir dann seinen Arbeitsalltag, seine Familiensituation und seine persönliche Befindlichkeit. Ihm schien gar nicht klar zu sein, als er mir dabei die Details seiner Krankengeschichte eröffnete, dass diese nämlich überhaupt nicht typisch für einen 39 Jährigen Top-Manager war.


Die Krankengeschichte  beschreibt (s)ein menschliches Schicksal.


Die Details (Auszüge) lesen sich in Kürze so: Tinnitus auf beiden Ohren, Hörverlust und Hörgeräte, Bandscheibenvorfälle im Nacken- und Lendenbereich, diverse im Körper wandernde Infekte, Herz-Kreislauf- Probleme, die mit schweren Medikamenten behandelt werden müssen. Not-OP wegen einer akuten und gravierenden Infektion im Bauchraum, deren Ursache von den Behandlern trotz intensiver Diagnostik nie enträtselt wurde.


Auf meine Nachfrage, um was für Infekte es sich handeln würde, wurde ihm, wie er erstaunt feststellte, erstmalig bewusst, dass er seit vielen Jahren jährlich 4-5 Infektionen im Kopfbereich hätte. Er war erstaunt, da er Beschwerden jeweils nur aktuell als (jeweils einzelne) gesundheitliche Beeinträchtigung wahrgenommen hatte. Erst unser Blick auf die Gesamtheit der vielen einzelnen Beschwerden und Erkrankungen, sowie die erstmalige Bewusstmachung im gemeinsamen Gespräch mit mir, ließen stutzend aufhorchen. „Dann lebe ich ja in einem dauernden Zustand von überreizter Erregung. Einem dauernden Zustand von Entzündung. Mein Organismus läuft ja im roten Bereich heiß“. Er begann zu erkennen, dass dies seine körperliche Verfassung, sein (Führungs-)Verhalten und die Abgrenzung im Unternehmen betraf.


Er berichtete mir all dies unspektakulär, wie beiläufig, ohne selbst die Schwere seiner Situation zu realisieren. Er sei doch in guter ärztlicher Behandlung. Nur, und das sagte er mit einem seltsam bedrückten Unterton in der Stimme, richtig helfen könnten die Ärzte ihm aber auch nicht. Und er fühle sich immer so seltsam erschöpft.


 Niemand im Unternehmen weiß um all das. Niemand im Unternehmen kann ihm dies ansehen. Niemand würde vermuten, dass Herr Kuhlmann sich überhaupt nicht der Schwere seiner Belastungssymptomatik bewusst ist.


Er gehört zu den 10 % Key Performern im Unternehmen. Man braucht ihn wirklich, daher erwarten ihn sehr wichtige Aufgaben. Und eine verlockende Karriere.


 … Morgen mehr zum möglichen Worst Case.