Freiheit, Verantwortung, Selbsthilfe. Eine liberale Streitschrift für die Soziale Arbeit
Gerade habe ich das Manuskript eines neuen Buches fertigestellt, das den oben genannten Titel trägt. Es startet mit diesen Eingangszitaten und dem unten stehenden Vorwort.
Freiheit
„Freiheit ist wesentlich, um Raum für das Unvorhersehbare und Unvoraussagbare zu lassen; wir wollen sie, weil wir gelernt haben, von ihr die Gelegenheit zur Verwirklichung vieler unserer Ziele zu erwarten. Weil jeder einzelne so wenig weiß und insbesondere, weil wir selten wissen, wer von uns etwas am besten weiß, vertrauen wir darauf, daß die unabhängigen und wettbewerblichen Bemühungen Vieler die Dinge hervorbringen, die wir wünschen werden, wenn wir sie sehen.“
Friedrich August von Hayek: Die Verfassung der Freiheit, 3. Aufl., Tübingen 1991, S. 38.
Verantwortung
„Freiheit verlangt, daß die Verantwortung des einzelnen sich nur auf das erstreckt, was er beurteilen kann, daß er in seinen Handlungen nur das in Betracht ziehen muß, was innerhalb des Bereichs seiner Voraussicht liegt und vor allem, daß er nur für seine eigenen Handlungen (und die der seiner Fürsorge anvertrauten Personen) verantwortlich ist – aber nicht für die anderer, die ebenso frei sind.“
Friedrich August von Hayek: Die Verfassung der Freiheit, 3. Aufl., Tübingen 1991, S. 102.
Selbsthilfe
„Daß der echte Individualismus den Wert der Familie und alle Zusammenarbeit der kleinen Gemeinschaften und Gruppen bejaht, daß er den Wert der lokalen Selbstverwaltung und freiwillige Verbindungen anerkennt und daß seine Argumente zum großen Teil auf der Meinung beruhen, daß vieles, wofür gewöhnlich die Zwangsgewalt des Staates angerufen wird, besser durch freiwillige Zusammenarbeit gemacht werden kann, braucht nicht weiter betont zu werden. Es kann keinen größeren Gegensatz dazu geben als den falschen Individualismus, der alle diese kleineren Gruppen in Atome auflösen möchte, die keinen anderen Zusammenhalt haben als die vom Staat auferlegten Zwangsgesetze und der trachtet, alle sozialen Bindungen zu einer Vorschrift zu machen, anstatt den Staat hauptsächlich zum Schutz des einzelnen gegen Anmaßung von Zwangsgewalt durch kleinere Gruppen zu verwenden.“
Friedrich August von Hayek: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 2. Aufl., Salzburg 1976, S. 36 f.
Vorwort
Liberalismus und Soziale Arbeit werden selten zusammengedacht. Mit diesem Buch wird genau dies versucht.
In den letzten zehn Jahren habe ich mich intensiv mit liberalen Positionen in den Sozialwissenschaften befasst, etwa mit Autoren wie Karl Popper, Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek. Dabei ist mir aufgefallen, dass zwischen dem sozialphilosophischen Liberalismus und der soziologischen Systemtheorie sehr viele Parallelen aufzufinden sind, die gerade für die Soziale Arbeit und ihre gesellschaftliche Verortung fruchtbar gemacht werden können. Denn das, was Soziale Arbeit normativ intendiert, hilfebedürftige Menschen so zu unterstützen, dass deren Selbsthilfekräfte gestärkt werden und sie wieder unabhängig von professioneller Unterstützung ihr Leben eigenverantwortlich führen können, ist ein eminent liberales Ziel, das sich zudem mit der Systemtheorie beschreiben und erklären lässt.
Wer die Soziale Arbeit aus eigener Anschauung kennt, wer die täglichen Herausforderungen dieser Praxis selbst erlebt, wer sich also als professionelle Fachkraft in diesem Feld bewegt, wird jedoch wissen, dass dieses Ziel der Profession vielen Hemmnissen ausgesetzt ist. Diese Hemmnisse sollten nicht den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern zugeschrieben werden. Denn diese sind in der Regel methodisch versiert, kennen zahlreiche Unterstützungsmöglichkeiten, um Menschen ressourcen-, lösungs- und zukunftsorientiert anzuregen. Auch an theoretischen Beschreibungen und Erklärungen, wie Soziale Arbeit erfolgreich Hilfe zur Selbsthilfe leisten kann, mangelt es nicht. Was jedoch im Argen liegt, ist eine Organisation der sozialprofessionellen Praxis, die das fördert, was Fachkräfte theoretisch und methodisch erreichen sollten und was zu unterstützenden Menschen geboten werden müsste: eine Arbeit, die die Freiheit zur Selbstbestimmung fördert, die individuelle Verantwortung festigt und die lebensweltliche Selbsthilfe auszubauen hilft.
Dass eine solche Soziale Arbeit zwar mit ihren sehr gut ausgebildeten Fachkräften möglich und auch im Sinne ihrer Nutzerinnen und Nutzer zu realisieren wäre, aber dennoch immer wieder an der Erreichung dieser Ziele scheitert, ist Thema der in diesem Buch versammelten Beiträge. Dabei wird die These vertreten, dass sich die Soziale Arbeit ein neues Verhältnis zur kapitalistischen Ökonomie erarbeiten sollte. Denn der wirtschaftliche Kapitalismus und der Liberalismus gehören zusammen und sind als getrennte Phänomene nicht zu haben. Wenn wir möchten, dass die Soziale Arbeit ihren Ansprüchen gerechter wird, müssen wir die ökonomische Logik der sozialprofessionellen Organisation umgestalten. Nicht die Bearbeitung von Problemen sollte sich für die Träger sozialer Dienstleistungen lohnen, sondern deren nachhaltige Lösung.
Um ein Verständnis davon zu gewinnen, wie dies gelingen kann, stelle ich mit diesem Buch einige Grundaxiome der aktuellen Sozialen Arbeit infrage. So wird die enge Verbindung von Staat und Sozialer Arbeit problematisiert. Die rechtliche Determinierung der Profession wird kritisiert. Und schließlich wird das gängige Verständnis der Ökonomisierung Sozialer Arbeit abgelehnt. Demgegenüber wird versucht, eine positive Beziehung von kapitalistisch-liberaler Wirtschaft und Soziale Arbeit zu denken. Dass ein solcher Sprung aus den etablierten Paradigmen nicht nur Widerspruch ernten wird, sondern vielleicht auch zu einem Neudenken beiträgt, ist zumindest eine leise Hoffnung, die mit der Veröffentlichung dieser Streitschrift einhergeht.
Potsdam, im Mai 2019