Bernhard Trenkle im Gespräch über „3 Bonbons für 5 Jungs“
Carl-Auer: Lieber Herr Trenkle, Ihr neues Buch „3 Bonbons für 5 Jungs – strategische Hypnotherapie in Fallbeispielen und Geschichten“ ist – bei aller erzählerischen Verve – nicht ganz einfach zu verstehen.  Mit dem Begriffspaar „strategische Hynotherapie“ im Untertitel stellen Sie sich sehr explizit in die Nachfolge von Milton Erickson. Im Vorwort aber zitieren Sie Ericksons Tochter Betty Alice, die den therapeutischen Ansatz ihres Vaters definierte als, „das zu tun, was funktioniert“. Wie passen Strategie und Pragmatismus (oder Utilisation?) zusammen? Liegt darin im langläufigen Verständnis nicht ein gewisser Widerspruch?

Bernhard Trenkle: Milton Erickson war gegen das Gründen von Therapieschulen. Erickson war auch gegen das Gründen eines Erickson’schen Ansatzes. Das ist vielleicht der Grund, warum es bei den Therapeuten, die sich auf Erickson berufen, so eine kreative Vielfalt von effektiven Ansätzen gibt. Erickson befürchtete, dass die Klienten durch zu viel Therapie-Schule in das Prokrustes-Bett einer Theorie gezwängt werden könnten. 

Erickson plädiert also dafür, sehr flexibel in der Situation zu entscheiden, welcher therapeutische Ansatz in der jeweiligen Situation angebracht ist. Von daher sind natürlich auch immer „strategische“ Entscheidungen nötig. Zum Beispiel die Entscheidung: Ist Hypnose angebracht oder eine andere Form von Therapie? Das habe ich hauptsächlich im Kapitel über die „Ordeal-Therapie“ thematisiert. Das dahinterliegende Hauptkonzept von Erickson ist Utilisation, das heißt, es wird versucht, alles inklusive der Pathologie für positive therapeutische Ziele zu nutzen.

Carl-Auer: Könnte man also sagen, Ericksons Strategie oder sein Konzept bestünde darin, sämtliche sich bietenden Eigenschaften, Ressourcen und selbst Aspekte der Störungsbilder eines Klienten einzubeziehen und für das therapeutische Ziel nutzbar zu machen? Setzt das nicht eine geradezu lauernd-beobachtende Distanziertheit des Therapeuten zum Klienten voraus?  

Bernhard Trenkle:  „Lauernd-beobachtend“ ist eine interessante Idee aus Ihrer journalistischen Perspektive. Wie wäre es, wenn wir das umformulieren in „wohlwollend-neugierige“ Haltung, um nützliche Potenziale für die Behandlungsziele des Klienten zu entdecken? Nossrat Peseschkian, der schon 1967 das erste Buch über Positive Psychotherapie geschrieben hat, beschreibt in einem seiner Bücher ein wunderbares Beispiel. Eine Klientin definierte sich selbst als frigide. Er antwortet: Sie sind nicht frigide. Sie haben die Fähigkeit, mit dem Körper Nein zu sagen. – Es ist dieser wohlwollend-neugierige Blick auf die positiven Potenziale und Anteile bei unseren Klienten, die die Erickson’sche Hypnotherapie auszeichnet und wovon wir auch Elemente in anderen Therapieansätzen finden.

Nun habe ich eine Gegenfrage. Wie würde unsere Welt aussehen, wenn auch die Mehrheit der Journalisten bei Interviews häufiger „wohlwollend-neugierig“ anstatt „lauernd-beobachtend“ unterwegs wären? In der Beantwortung dieser Frage habe ich mich z. B. strategisch entschieden, ein Beispiel eines Nichthypnotherapeuten zu bringen, und dann habe ich gleich noch die Möglichkeit gesehen, etwas zur Interviewführung zu sagen, was mich beim Fernsehschauen schon länger beschäftigt hat.

Carl-Auer:  Interessanter Exkurs!
Im Unterschied zu vielen Kollegen kombinieren Sie lösungsorientierte Arbeit unter Einbeziehung von expliziter Hypnose und entscheiden aus der therapeutischen Situation heraus, ob Sie ggf. mit Tranceinduktionen oder lösungsorientiert arbeiten wollen. Die Entscheidung für das eine oder andere Methodensetting bezeichnen Sie als „strategisch“ und vergleichen Ihren Ansatz mit dem eines Schachspielers, der die Züge seines Gegners zu antizipieren versucht. Setzt das Changieren zwischen so grundlegend verschiedenen „Strategien“ zum Wohle des Klienten auf Seiten des Therapeuten nicht eine fast übermenschliche Einsicht in dessen Ressourcen, kognitiv, psychisch und physisch, sowie seine gesamte Lebenssituation voraus? Was muss die Berufung auf therapeutische Empathie und Erfahrung in diesem Kontext mindestens gewährleisten? 

Bernhard Trenkle: Das sind zwei Ebenen des strategischen Arbeitens. Zum einen, was man überhaupt tut – also ob man mit Hypnose, mit therapeutischen Geschichten, mit Hausaufgaben, mit paradoxen Verschreibungen, mit Einbeziehen der ganzen Familie arbeitet, etc. Zum anderen – wenn ich mich entschieden habe –, wie ich das strategisch in Schritte einteile.

Als Beispiel: Eine befreundete Familie war bei uns zu Besuch. Der Vater nahm mich beiseite. Er bat mich, mit seinem 8-jährigen Sohn mit Hypnose hinsichtlich Schmerzreduktion zu arbeiten. Der Sohn musste regelmäßig recht schmerzhafte ärztliche Behandlungen an seinem rechten Arm über sich ergehen lassen. Der Vater meinte, das sei wie eine Folter für ihn, er sei da traumatisiert. Mein Eindruck vom Sohn war: Der wird mir das nicht glauben, wenn ich direkt das Thema Schmerz anspreche. Ich begann mit ihm zu spielen und fragte ihn, ob er auch sehr kitzelig sei. Er meinte ja, sehr stark. Ich kitzelte ihn, und er schüttelte sich vor Lachen. Dann kitzelte er mich. Nach einer Weile sagte ich: Da gibt es einen Trick. Ich hab an der Hüfte einen Schalter, da kann ich „Kitzelig“ ausschalten. Ich betätigte meinen Schalter, und er versuchte vergeblich, mich zu kitzeln. Dann probierten wir, ob dieser Schalter bei ihm auch funktioniert. Es ging auch bei ihm. Eine Weile später forderte ich ihn auf, mich in die Hand zu kneifen. Ich schrie „Aua“. Darauf sagte ich: „Ich habe noch einen Schalter unter der Achsel und kann den Arm und die Hand abschalten.“ Dann sollte er mich wieder kneifen – ich demonstrierte gelassene Langweile und sagte: „Ich spüre nichts, ich hab abgeschaltet.“ Dasselbe probierten wir dann auch bei ihm. Von dort war dann der Transfer dieser Technik auf die medizinische Behandlung leicht.

Das ist ein Beispiel für strategische Vorbereitung. Das Buch ist voll von solchen Beispielen. Das kann man nicht aus theoretischen Ergüssen eines Autors lernen, sondern nur über viele Fallbeispiele. Diese Fallbeispiele erhöhen beim Lesen oder bei meinen Seminarteilnehmern die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Potenziale und Möglichkeiten in individuellen Situationen schneller erkennen und nutzen können. So was kann man vorher oft nicht planen. Da haben Sie recht. Das wäre übermenschlich. Oder: Wie bringt man Gott zum Lachen? Erzähl ihm Deine Pläne.

Carl-Auer: In ihrem Buch erwähnen Sie an einer Stelle, dass trotz aller schulmäßigen oder strategischen Vor- und Nachbereitung in der eigentlichen Trancearbeit nicht nur der Klient, sondern auch der Therapeut sich in eine Trance begibt, der Spiegelübertragung, wie wir sie aus der Psychoanalyse kennen, nicht unähnlich, in der er alle schulmäßigen Überlegungen vergessen solle. Wie muss man sich die (Re-) Integration dieser Tranceerfahrung in das therapeutische Konzept vorstellen? 

Bernhard Trenkle: Dazu haben die ungarischen Kolleginnen um Prof. Eva Banyai und Prof. Katalin Varga von der Universität Budapest über Jahrzehnte geforscht. Dabei wurde immer wieder gezeigt, dass bei einer guten Hypnose sowohl Klient wie Hypnotherapeut in einer Trance sind. Im Buch wird auf diese Forschungen auch verwiesen. Das entspricht auch der subjektiven Erfahrung von Hypnose-Therapeuten. Die ungarischen Kolleginnen haben das mit Daten bestätigt.

Hypnose ist ja kein Schlafzustand, sondern ein Zustand von hochfokussierter Aufmerksamkeit. In einer guten therapeutischen Trance geht der Therapeut in einen flowartigen Trancezustand, in dem er in der Tat sehr intensiv auf seinen Klienten eingestimmt ist, aber auch sehr intensiv in Kontakt ist mit seiner eigenen klinischen Erfahrung als Therapeut und dem ganzen Repertoire an hypnotischen Techniken, das er erlernt hat. Im Übrigen sind auch Sportler, Musiker und andere Künstler im Moment von Höchstleistungen in solchen Zuständen. Dazu werden wir nächstes Jahr ja wieder die Konferenz „Mentales Stärken“organisieren. Aber – sowohl bei Sportlern wie bei Musikern wie bei Therapeuten geht sehr viel Training voraus. Es gibt ja diesen Witz: Die Patientin fragt ihren Chirurg: „Herr Professor, werde ich nach dieser Handoperation Klavier spielen können?“ Der Professor antwortet: „Nach dieser Handoperation werden Sie ohne Probleme Klavier spielen können.“ Die Patientin: „Das ist wunderbar, Herr Doktor, das wollte ich schon seit meiner Kindheit.“

Carl-Auer: Ihr neues Buch versammelt verschiedene Ihrer Veröffentlichungen aus rund 30 Jahren. Die Fälle und das Inhaltsverzeichnis wirken auf den ersten Blick etwas heterogen. Wer eine Art „Lehrbuch“ erwartet, könnte sich enttäuscht sehen. Sie sprechen über bedeutende Protagonisten der Hypnotherapie und von ihren Fällen, mitunter auch von Ihren eigenen. Dabei bleiben Sie als Autor und Therapeut selbst ein wenig schemenhaft. Könnte man sagen, dass der Titel Ihres Buches wortwörtlich genommen werden will und „Strategische Hypnotherapie in Fallbeispielen und Geschichten“ wie ein Bildungsroman das Ganze Ihrer hypnotherapeutischen Genese nachzeichnet? „3 Bonbons für 5 Jungs“ wäre damit als die Summe und die Landkarte Ihrer hypnotherapeutischen Erfahrung zu verstehen?“ 

Bernhard Trenkle: Ja gut, neulich war ich mit den beiden Lektoren des Verlags in Heidelberg im bekannten Cafe Schafheutle. Es gab überhaupt keine Leberwurst. Das war sehr enttäuschend.

Ich bedanke mich aber für diese Frage, weil mir gerade klar wird, wie sehr mein Buch in der Tradition von Erickson verankert ist. Es gibt bis heute weltweit kein Buch, das behauptet, ein Lehrbuch Erickson’scher Therapie zu sein, oder auch nur behauptet, auf einer Meta-Ebene schlüssig darzustellen, was Erickson insgesamt gemacht hat. Milton Erickson hat ja selbst kein einziges Buch geschrieben. Es gibt aber diese hervorragenden zweieinhalbtausend Seiten in den 6 Bänden der Gesammelten Schriften. Dort sind Zeitschriftenartikel und Buchbeiträge gesammelt und thematisch geordnet, die er im Verlauf von 50 Jahren geschrieben hat. Das Spektrum der Themen ist enorm.

Ganz so umfassend ist das Buch „3 Bonbons für 5 Jungs“ nicht. Trotzdem, Sie haben recht: Es umfasst ein großes Themenspektrum sowohl hinsichtlich der behandelten Symptome und Störungsbilder als auch bezüglich der therapeutischen Ansätze. Das Buch fasst die interessantesten meiner Artikel zusammen, die seit 1983 in Deutschland, USA, Frankreich, Italien und in Ungarn in Zeitschriften oder Büchern erschienen sind und die es zu Teilen bisher noch nicht auf Deutsch gab. Meine Stärke in meinen Seminaren, Vorträgen und auch in diesem Buch liegt in der Vielzahl der spannenden illustrativen Fallbeispiele, mit der die theoretischen Darlegungen praktisch verständlich werden. Der fachkundige Leser bekommt vielfältige Anregungen für die eigene Praxis.

Wegen der vielen Fallbeispiele ist es aber auch durchaus spannend für Leser, die allgemein psychologisch interessiert sind. Mein Lese-Tipp: nicht von vorne nach hinten lesen wie bei einem Roman, sondern im Inhaltsverzeichnis das Kapitel raussuchen, was einem am meisten neugierig macht; dann nach und nach die anderen Artikel lesen. Und wenn dann vielleicht die Lust auf eine Zugabe entsteht, gibt es auf der Carl-Auer-Webseite noch einige weitere Artikel. Im Buch gibt es darüber hinaus noch Hinweise auf weitere Artikel, die in anderen Büchern aktuell noch erhältlich sind.

Carl-Auer: Danke für das schöne Schlusswort und das Gespräch mit Ihnen!