Das Heidenau-Paradox

Ist es nicht faszinierend, wie schnell - fast von einem Augenblick zum anderen - sich die Bewertung des Zustroms von Flüchtlingen und Asylanten in der öffentlichen (= veröffentlichten) Meinung geändert hat?


Da werden Tausende von Flüchtlingen am Bahnhof von München, Frankfurt usw. von jubelnden und klatschenden deutschen Bürgern begrüßt; dreijährige Kinder schenken "spontan" ihren Teddybären ebenso alten syrischen Kindern; es herrscht eine Begeisterung, als ob liebe Verwandte aus der Kriegsgefangenschaft zurück kämen oder, noch bemerkenswerter, als ob endlich die Rettungsmannschaft zu denen vordringt, die nach einem Schiffbruch auf einer einsamen Insel gestrandet waren.


Ehrlich gesagt: Ich finde das komisch - vor allem aber erklärungsbedürftig.


Meine Erklärung: Die Anschläge in Heidenau, die weltweit im Fernsehen gezeigten Bilder von den Leuten dort, der öffentlich vorgeführte Hass haben zu einer Gegenreaktion geführt - nicht nur individuell, sondern auch auf der politischen Ebenen und in den Massenmedien. Eine Wandlung des Narrativs: Aus der Story, dass Flüchtlinge und Migration gleich zu setzen sind mit Teilung der Ressourcen hin zu der Story, dass sie die Ressource sind.


Beide sind m.E. nicht falsch, wenn auch für unterschiedliche Teile der Bevölkerung. Diejenigen, die eh von der Verteilung öffentlicher Gelder leben, sehen es als Bedrohung an, wenn noch mehr Leute aus diesen Quellen schöpfen wollen; und diejenigen, die z.B. Arbeitskräfte suchen, sehen es als Ressource an, wenn mehr Leute da sind, die im schlechtesten Fall die offenen Stellen füllen, im besten Fall um sie konkurrieren. Letzteres mag den Schwenk der Presse, speziell der Springer-Presse erklären...


Soziale Systeme balencieren immer widersprüchliche Tendenzen ( Morin nennt das "systemischen Antagonismus"). Deshalb haben die Heidenauer gewissermaßen die Münchener Jubelbayern produziert - klassische paradoxe Intervention.


Nüchtern betrachtet ist in Bezug auf das, was in sozialen Systemen geschieht (was immer da geschehen mag) Ambivalenzfreiheit immer irrational.


Der Ambivalenzfreiheit der Brandstifter wird die Ambivalenzfreiheit der Teddy-Verschenker entgegen gesetzt.


Daraus, dass mir persönlich die Münchener Jubelbilder bei CNN lieber sind als die der brennenden Asylantenheime, mache ich keinen Hehl.


Aber es sollte klar sein, dass der Beifall des Publikums nicht wirklich den Flüchtlingen gilt, sondern dass die Helfer sich selbst beklatschen, weil sie so hell sind im Gegensatz zum dunklen Heidenau.


Spannend wird, ob jetzt wirklich gut organisierte Integrationsprogramme (à la Schweden) auf die Beine gestellt werden. Sonst bleibt das alles selbstverliebte Performance.