Deutsche Schule: Schlechte Noten

Die deutschen Bildungsminister versuchen offenbar, Korrekturen an einem Bildungsbericht der Uno zu erreichen, bevor dieser veröffentlicht wird. So berichtete es dieser Tage die ARD-Tagesschau. Mit geradezu entnervt wirkender Gereiztheit haben mehrere Bildungs- und Kultusminister auf Vorabinformationen zu einem Bildungsbericht des UN-Kommissars Vernor Munoz reagiert, bescheinigen ihm, Munoz nehme bei einigen Kritikpunkten "nicht die Differenzierung des deutschen Schulsystems" wahr. So Bildungsministerin Annette Schavan, die den Bericht als "sachlich falsch" zurück wies. "Herr Munoz hat offenbar das deutsche Bildungssystem nicht verstanden", zitiert die "Welt" einen Sprecher des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums. Der Bericht sei für die bildungspolitische Debatte in Deutschland "völlig unbrauchbar". Auf gut Deutsch: Herr Munoz (seines Zeichens Juraprofessor aus Costa Rica) ist zu dumm, unser so fein gestricktes System zu verstehen. Herr Oettinger hat sich gar darüber erregt, dass er bei seinem zehntägigen Deutschlandbesuch im vergangenen Jahr überhaupt keine Schule im Ländle gesehen hätte. Wie könne er sich da überhaupt ein Urteil erlauben! Man darf gespannt sein, ob Herr Munoz seine Kritik über die frühe deutsche Selektierung im Bildungssystem und andere bekannte Unzulänglichkeiten noch entschärft, ehe der Bericht am 21. März veröffentlicht wird.


Dennoch kommt schon vor der Veröffentlichung des Berichts neue Bewegung in die festgefahrene Situation. Führende deutsche Bildungsforscher verlangen nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" einen radikalen Umbau des Bildungssystems. Schulen sollten - wenn es nach ihnen geht - zwar staatlich finanziert, aber von privaten Trägern geleitet werden, zitiert die Zeitung aus einem Gutachten. Der "Aktionsrat Bildung", dem sieben namhafte Professoren angehören, fordert eine deutlich größere Autonomie der Schulen: Diese sollen selbst verantwortlich sein für Auswahl und Einsatz der Pädagogen, aber auch für deren leistungsbezogene Bezahlung. Zudem sollen Lehrer grundsätzlich befristet beschäftigt werden. Ihre Arbeitsverträge sollen nur nach Teilnahme an Fortbildungen verlängert werden.


**Hauptschulen abschaffen?**


Im Streit über das gegliederte Schulsystem plädieren die Experten für eine bundesweite Umstellung auf eine zweigliedrige Struktur aus Sekundarschulen und Gymnasien. Dies würde bedeuten, die Hauptschulen abzuschaffen. Unangetastet lassen würden sie die frühe Selektion nach Klasse vier, was gerade wieder im Munoz-Bericht stark kritisiert wird. Um Bildungschancen gerechter zu verteilen, muss nach Ansicht der Forscher zudem eine Kindergartenpflicht vom vollendeten vierten Lebensjahr an eingeführt werden. Kindergärten sollen ganztägig und beitragsfrei angeboten werden. Die Ausbildung der Erzieher wollen die Experten durch akademische Abschlüsse aufwerten und mit dem Lehrerstudium verknüpfen.


Damit gibt es erstmals seit 1973, als Bund und Länder gemeinsam den Bildungsgesamtplan beschlossen, wieder einen Masterplan für das Bildungswesen in Deutschland. Jedenfalls verstehen die Autoren ihr Werk als solchen. Doch wer steckt dahinter? Sieben führende deutsche Bildungsforscher mit dem Vorsitzenden Dieter Penzel, dabei auch Manfred Prenzel, der deutsche Leiter der PISA-Studie und der Leiter der IGLU-Studie Wilfried Bos und vier weitere namhafte Professoren. Ihren Aufttrag erteilte ihnen die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, eine Interessenvertretung. Und da darf man schon genauer überlegen, wohin das führen wird. Ein derartig radikaler Umbau, Schulen, geführt wie selbstständige mittelständische Unternehmen, die zwar der Öffentlichen Hand gehören, aber nicht von ihr geführt werden sollen? Lehrer mit Zeitverträgen, über die der Schulleiter entscheidet? Für einen alten Lehrergewerkschaftler wie mich, der den Kampf um die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte aktiv mitgemacht hat, eine Horrorvorstellung! Ein Expertengutachten im interessengerichteten Auftrag durch bisher unabhängige Wissenschaftler mit dem Titel Masterplan? Kann so die Zukunft unseres Bildungswesens gesteuert werden? Können wir Bürger das überhaupt wollen? Der Plan füllt ein Vakuum, das seine Existenz mehr als deutlich werden lässt: Es gibt in der politischen Klasse unseres Landes keine Bereitschaft zu einer allgemeinen Schulreform und keinen Willen das zu ändern. Den besten Beleg dafür stellen die gereizten Reaktionen auf jede neue Kritik von außen wie jetzt auf den Munoz-Bericht dar, der schon für so viel Aufregung sorgt, ehe er überhaupt veröffentlicht ist - eine Gemeinsamkeit mit dem Plan des "Aktionsrates Bildung".


Blicken wir einmal zurück: Den ersten Masterplan für ein in Stufen organisiertes deutsches Bildungswesen brachte 1963 die GEW heraus. Den "Bremer Plan" hatte eine Gruppe von führenden Pädagogen unter der Federführung des Freiburger Ordinarius Emil Fink herausgebracht. Er löste die Diskussion aus, die zur Einrichtung des Bildungsrates und der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung führte. Deren Ergebnis: Der Masterplan von 1973, Bildungsgesamtplan genannt. Ihm folgte der dreißigjährige deutsche Bildungskrieg, während die Welt um uns herum die frühe Selektion in ihren Systemen abschaffte, allen voran die skandinavischen Länder. Als Buch gedruckt erscheint der Bericht der Aktion Bildungsrat nächste Woche im Handel. Damit ist er zwar noch lange nicht realisiert, lernen wir von damals. Dennoch: Es darf nicht zu einem derartig lärmend-lähmenden Stillstand wie seit 1973 kommen. Genau das aber ist mit dieser Konstellation zu befürchten.


Deutschland hat viel Zeit verloren und der Hinweis aus der Bundesregierung auf die hervorragende Stellung unserer Wirtschaft, die ja nur möglich sei dank eines guten Bildungssystems, er darf die sich allmählich ankündigende Entwicklung zum Besseren nicht bremsen. Wir Bürger müssen den derzeit agierenden Politikern, insbesondere denen im konservativen Bremserhäuschen, klar machen, dass sie es sind, die mit ihrer Selbstgefälligkeit und Entscheidungsschwäche die Zukunftschancen Deutschlands gefährden und nicht Herr Munoz, der nur völlig zu Recht erneut den Finger erneut dorthin legt, wo es den Aufheulenden wehtun soll: Tut endlich das Notwendige und macht die Schulen in ganz Deutschland zukunftsfähig! Bis dahin soll es ihnen ruhig immer wieder um die Ohren gehauen werden: Mangelhaft!


Hoffen wir das Beste für die deutsche Schulentwicklung! Herzlichen Gruß an alle, denen die Zukunft unserer Schulen am Herzen liegt,

Horst Kasper