Hartz IV - ein Wort

„Ich werde mal Hartz IV. Da weiß ich, was ich habe!“, sagte neulich ein Neunjähriger in Berlin auf die Frage nach seinem späteren Berufswunsch in eine Fernsehkamera. Hartz IV, Wort des Jahres 2004. Für den altklugen Piepmatz aus Berlin ist das also ein durchaus positiver Begriff, wenn sich auch kaum einer der Väter (und Mütter!) der Hartz-Gesetze darüber freuen dürfte, dass Hartz IV schon zur Lebensperspektive kleiner Kinder gehört: Da weiß man, was man hat! Das signalisiert: Hier bin ich sicher! Wenn der Kleine wüsste, was heute schon Sicherheit in diesen Dingen bedeutet. „Die Rente ist sicher!“ Der berühmte Slogan Norbert Blüms verursacht seinem Erfinder jedes Mal gewaltige Schluckbeschwerden, wenn ihn vor laufender Kamera jemand daran erinnert. Und das ist die Regel, also muss er viel schlucken, der Herr Blüm. Wie kommt ein Kind zu diesem Berufswunsch? Die Formel „da weiß man, was man hat“ deutet auf das umgebenden System: Eine Familie mit Hartz-IV-Perspektive. Der Junge ist vielleicht der Einzige, der in der Familie „morgens raus muss“. Die anderen können vielleicht liegen bleiben, wohl wissend, was sie haben und auch, was sie nicht haben. Dass es das gibt, behaupten jedenfalls Lehrer so genannter Brennpunktschulen in Großstädten.


Was aber bedeutet Hartz IV für die ehemaligen Mitarbeiter von BenQ, was für andere Menschen in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen? Wie wirken Nachrichten über eine neue Entlassungswelle bei einem der großen Unternehmen auf alle anderen abhängig Beschäftigten? Wenn es nach den sieben Bildungsweisen geht, welche die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft engagiert hat (siehe Blog vom Vortag), sollen auch die bisher so sicher beamteten Lehrer dieses Gefühl kennen lernen: Jederzeit vom Absturz ins Prekariat bedroht (welch sinnige Wortschöpfung!). Allein der Begriff Hartz IV hebt als bürokratische Erfindung die Sache, um die es geht, ab vom sinnlich fassbaren Geschehen. Ein Begriff so kalt und nüchtern wie die weißen Wände in den modernen Arbeitsagenturen. A propos Arbeitsagenturen: Dieser Begriff, direkt neben Hartz IV angesiedelt, signalisiert, es handle sich um Stellen, die nichts anderes tun, als die in die Arbeitslosigkeit gestürzten Menschen umgehend wieder in Lohn und Brot zu bringen. Die Zielvorgabe steckt im Namen, und das ist das eine, die Realisierung ist das andere. Die Unerreichbarkeit dessen, was der Name vorgibt, muss das nicht gar die Moral derer paralysieren, die einen Auftrag haben, den sie niemals erfüllen können? Wen wundert’s, dass manche von ihnen sich in eine Haltung der gefühllosen Exekution von Vorschriften flüchten! Hartz IV dagegen ist ein Begriff, der nichts von dem verrät, wofür er steht: 345 € im Monat und vielleicht den Zwang in eine kleinere Wohnung umzuziehen, das wenige Ersparte aufzubrauchen, bevor das Staatsgeld kommt, für das man schon 20 Jahre Zwangsbeitrag bezahlt hat.


Es gibt viele neue Worte in diesen Zeiten. Geringverdiener ist so eines, bei dem ich noch immer jedes Mal zusammenschrecke. Wie eine Keule aus dem Reich der Götter herabgeschleudert, trifft es die verzweifelt rudernden Armen, kalt und lieblos. Die Ich-AG, Unwort des Jahres 2002 – schon wieder erledigt, ausgemustert aus der politischen Alltagssprache, vom Duden an einer Stelle als Polit-Jargon bezeichnet. Die Entlassungsproduktivität, neuestes Unwort für 2006, ein weiterer Hammer. Daneben der Finanz-Jargon mit Worten wie Negativwachstum. Nicht zu vergessen die ausgesprochenen Kampfbegriffe wie die Karrierefrauen oder die Gebärmaschinen von Bischof Mixa. Manch altes Schimpfwort erfährt auch eine Umwertung. Galt früher eine Frau als Rabenmutter, wenn sie ihre Kinder allein zu Hause ließ und statt dessen zur Arbeit ging, so ist es heute gar die Mutter, die ihre Kinder allein zu Hause bestens betreut, sorgsam in Liebe erzieht und nach Kräften fördert, statt sie der Atmosphäre einer überfüllten Kindergartengruppe mit einer genervten Erzieherin auszusetzen. Ich weiß, es gibt auch hervorragende Arbeit im Vorschulalter, aber eben auch dies. Dennoch: Es lohnt sich, meine ich, genau hinzuhören und hinzuschauen, damit die Unworte nicht die Macht über uns ergreifen und das, was einmal ein positiver Begriff war, Reform, nicht als Chaos über uns zusammenschägt.


Aber ich will nicht die Welt retten! Daher: Ein geruhsames Wochenende,

Horst Kasper