Die Badeente

Meine kleine Tochter schläft. Es geht schließlich nichts über die magische Wirkung von Badeenten. Lieber Carl, warum habe ich nicht auch so eine Ente? Oder wenigstens ein kleines Boot, mit einem Elefanten als Steuermann? Das Leben, es erscheint einem bisweilen so ernst, so tragisch (Umweltverschmutzung, Krieg, Terror, Seuchen, Arme, Kranke....) – aber die Welt der Kinder, sie ist noch so lieblich, so verspielt, irgendwie unbelastet und unberührt. Zumindest sollte sie das sein. Rosa Elefanten, die friedlich auf der Wasseroberfläche treiben, stundenlang, hin und her. Keine Trennung zwischen der Wanne und dem Manne.


Meine kleine Tochter ist gerade dabei, ihre Welt zu formen – eine wunderbare Möglichkeit, seine eigenen Voraussetzungen zu überdenken und zu hinterfragen. In den ersten Wochen konnte sie ihr schweres Köpfchen noch nicht halten, nicht greifen, sich nicht koordiniert bewegen. Sie erschien mir wie ein Wesen von einem anderen Stern. Wie frisch aus dem Nirvana geschlüpft – dem Zustand des Ungeborenen. Ich habe oft versucht, mich in den Wechsel einzufühlen – aus dem warmen Uterus hinaus in die Kälte, ins grelle Licht. Überall laute Stimmen, mannigfaltige Geräusche, Düfte, Berührungen, Luft zum Atmen...alles vollkommen neu und unbekannt. Wie aus der Einheit also Zweiheit wurde. Das Schreien hatte zweifelsfrei seine Berechtigung.


Doch jede Woche brachte neue Möglichkeiten, ein erstes Lächeln, ein erster Griff, vorsichtige Versuche, sich umzudrehen, zu sitzen. Und nun robbt sie schon im Retourgang durch die Zimmer, grinst dabei, als wäre es nie anders gewesen, wirbelt ihr Spielzeug durch die Luft und schreit dabei laut „Uh..Uh..“ – ich immer hinten nach, „Nein, Johanna, nicht die Peterson Platte...nein, nein, das ist Gould, er will nicht eingespeichelt werden...nein, nein...nicht den Bleistift in den Mund...oh Gott...die Vase...“ So geht das dahin – höchst regelhaft greift sie immer und immer wieder zu bestimmten Objekten, speichelt sie ein, lässt sie wieder fallen, nimmt sie wieder hoch. Immer und immer wieder hirsche ich hinterher, rufe dies oder das.


So oder so ähnlich formt sich unsere Welt, in einem unaufhörlichem Wechselspiel, einer Art Tanz, einem Ringelreigen. Das Händchen, es bildet eine Einheit mit dem Objekt – und das Objekt wäre ohne Händchen auch nicht gegenständlich. Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Befühlen – alles läuft auf synästhetische Weise irgendwie zugleich ab. Erst später im Leben werden wir die Sinne auseinanderzudividieren lernen.


Am Nachmittag haben wir gespielt – wie fast jeden Nachmittag. Ich baue einen Turm – sie wirft ihn um. Ich baue ihn wieder auf – sie wirft ihn wieder um. Dann wechselt der Fokus der Aufmerksamkeit – ich werfe einen Ball in die Luft, sie schaut ihm nach, als wäre es der einzige Ball auf dieser Welt. Ich habe das Gefühl, sie geht vollkommen im Geschehen auf, wo meine Gedanken schon wieder schweifen. Was könnte ich als nächstes tun, wie den nächsten Effekt erzielen.

Wenn Hunger oder Müdigkeit das Spiel unterbrechen, dann erfolgt dies ebenso heftig. Es gibt keinen Aufschub, kein „gleich“, sondern nur ein Jetzt. Ich beschwichtige mit sanfter Stimme, kann das aufwallende Hungergefühl wieder vertreiben, der Ball, er ist schon wieder in der Luft, die kleinen Händchen schnappen danach, ein Lachen huscht über das zarte Gesicht. Das ist Seelenfriede. Aber – plötzlich – die nächste Welle. So geht es dahin, vergehen die Momente, nicht die Stunden, Tage oder Monate, nein, die Momente im Hier und Jetzt.