Freudsche Hirnforschung

In der traditionellen Fließbandproduktion gibt es die Funktion des „Springers“. Es handelt sich dabei um eine Person, die immer dann einspringen muss, wenn irgendjemand auf die Toilette gehen muss oder aus sonst einem Grund seine Arbeit nicht ausführen kann. Der Springer sorgt dafür, dass das Band nicht stehen bleibt. Auch beim Auer-Blog gibt es diese Funktion des Springers. Nicht dass ich mich wirklich drum beworben hätte, aber offensichtlich ist mir dieser Job zugefallen. Wenn alle anderen Autoren auf der Toilette sind, bin ich dran.

Aber es fällt mir, ehrlich gesagt, auch gar nicht so schwer. Viele Autoren zieren sich: „Das ist nicht meine Form des Schreibens“ oder „Ich habe keine Zeit, um mir was auszudenken...“ usw. Als ob es darum ginge, hier nobelpreiswürdige Texte zu verfassen. Schließlich brabbeln auch Nobelpreisträger oft irgendwas vor sich hin. Und in solch einem Blog wird das halt publik gemacht. Ich bin da offensichtlich weniger schüchtern (oder auch schamloser), die Welt mit meinem Gebrabbel zu beglücken. Also: Auf geht es in die neue Woche.


Ich komme gerade vom Flughafen. Gestern hatte ich einen etwas turbulenten Tag. Früh nach Würzburg gefahren, um mittags einen Vortrag auf einer Konferenz über „Kollektive Intelligenz“ zu halten („Gemeinsam sind wir blöd!“ – was sonst?). Gleich anschließend weiter nach Köln zu einer Rundfunkdiskussion mit einem Hirnforscher (Herrn Hüther aus Göttingen) und einem Psychoanalytiker (Herrn Nitzschke aus Düsseldorf) zur Frage, ob die Hirnforschung heute beweisen könne, dass Freud recht hatte.


Wir waren uns schnell einig, dass die Hirnforschung eigentlich gar keine psychologischen Behauptungen beweisen könne.

Bei mir bleibt aber doch die Frage, wie diese merkwürdige Allianz zwischen Psychoanalyse und Hirnforschung, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat, zu erklären ist. Ich finde Hirnforschung ja auch interessant, aber ich käme – eine systemische Perspektive zugrunde legend - nie auf die Idee, die Biologie könne psychologische Hypothesen „beweisen“. Die neueren bildgebenden Verfahren, die es ermöglichen die Durchblutungsveränderungen in unterschiedlichen Hirnarealen sichtbar zu machen, belegen offenbar den Satz „seeing is believing“. Wenn spezifische Zentren des Gehirns bei sexuellen Gedanken eines Probanden mehr durchblutet sind, belegt dies aber eigentlich nur, dass bei solchen Gedanken diese Zentren mehr durchblutet sind. Schon die Hypothese, dass dort eine größere Aktivität des Gehirns lokalisiert ist, ist nicht mehr und nicht weniger als genau das: eine Hypothese (die allerdings sehr plausibel ist). Aber aus dieser Aktivität bzw. der Korrelation von psychischen und physiologischen Prozessen Kausalität zu konstruieren, ist einfach sehr gewagt und leichtfertig, um nicht zu sagen: Schwachsinn. Bei sexuellen Gedanken werden bei den meisten Menschen noch ganz andere Körperteile, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, stärker durchblutet. Man könnte logisch genauso berechtigt (und schwachsinnig) ableiten, dass die (z.B.) Rötung der Gesichtshaut die Ursache für sexuelle Gedanken (etwa beim Betrachten eines Pornofilms) sei... usw. Das sind mehr oder weniger willkürliche Interpunktionen von hochkomplexen zirkulären Prozessen durch den oder die Beobachter. Eigentlich ist jeder Versuch, einzelne psychische oder soziale Ereignisse mit einzelnen biologischen Ereignissen zu korrelieren wenig sinnvoll, die Konstruktion von Kausalität zwischen ihnen noch weniger. Was aber geht, ist, Prozesse in diesen drei unterschiedlichen Phänomenbereichen und ihre Kopplung miteinander zu untersuchen. Die Untersuchung ihrer wechselseitigen Irritation/Perturbation, der Initiierung autonomer psychischer Muster durch biologische Ereignisse und Prozesse und umgekehrt, das ist durchaus sinnvoll. Und wenn man das macht, dann kann man feststellen, dass die Kommunikationsmuster, in denen sich ein Mensch findet und an denen er beteiligt ist, die biologische Struktur und die funktionellen Muster seines Gehirns beeinflussen (und umgekehrt – aber das überrascht ja eh keinen)...


Was der gestrige Abend bzw. die Diskussion im WDR wohl mit meinem Gehirn gemacht haben mag? Beunruhigender Gedanke. Auf jeden Fall sollte man sorgsam mit seinem Gehirn umgehen und vorsichtig bei der Auswahl der Kommunikationsmuster, in die man sich begibt, walten lassen ... Also: Passen Sie ja auf!


FBS