Mollath raus aus der Anstalt, Italien rein...

Gustl Mollath ist aus der Psychiatrie entlassen, was zeigt, dass formalistisch denkende und argumentierende Juristen im Zweifel, wenn der polititsche und öffentliche Druck (Wahlkampf) groß genug ist, auch formale Gründe finden, Entscheidungen den Bedürfnissen anzupassen.


Soll man sich freuen? Ja klar, auf jeden Fall. Nein, auf keinen Fall!


Aber die Lektüre internationaler Zeitungen (im Netz, wo sonst gibt es die noch?) bringt auch andere interessante Nachrichten zum Thema Psychiatrie. Dass der Diagnosewahn, der vor allem aus den USA zu uns geschwappt ist in den letzten 20 Jahren, schwachsinnig ist, kommt inzwischen auch bei Zeitungen wie der Süddeutschen an. Dass die deutschen Journalisten erst einen Anstoß aus den USA brauchen, um die Themen, auf die der Carl-Auer-Verlag seit nunmehr 24 Jahren sein Programm gründet, aufzunehmen, ist ein Armutszeugnis der deutschen Presse. Aber besser spät als gar nicht.


Interessanter ist ein Interview in der italienischen Ausgabe der Huffington Post von gestern (6. August 2013). Prof. Vittorino Andreoli, ein international respektierter Psychiater diagnostiziert seine Landsleute. Er sieht vier Symptome, die klar für eine "psychische Krankheit" sprechen:


(1) Einen Masochismus, der durch Exhibitionismus verdeckt wird.


Der Italiener lebt unter ziemlich miesen Bedingungen in einer kleinen Wohnung mit einer vertrockneten Blume auf dem Tisch, aber er erzählt allen Leuten, er habe eine riesige Terrasse mit Planzen im Überfluss, er fährt für eine Woche in Urlaub, erzählt aber allen von zwei Wochen, hat die großartigsten Kinder - alles. Er präsentiert - wie andere Exhibitionisten - seine Potenz, um seine Impotenz zu kompensieren usw.


(2) Ein gandenloser Individualismus.


Obwohl bzw. wenn er mit vielen in einem in Seenot geratenen Boot sitzt, dann schwimmt er lieber allein los, statt sich um das Überleben der gesamten Besatzung zu kümmern. Die Solidarität erstreckt sich höchstens noch auf den Partner und die Kleinfamilien.


(3) Er spielt immer nur Rollen und fühlt sich immer auf der Bühne.


Immer große Auftritte, mehr Schein als Sein. Hinter der Maske findet sich kein Gesicht mehr. Alles Inszenierung, auf öffentliche Wirkung bedacht.


(4) Ein unerschütterliche Glaube.


Damit ist nicht der Glaube an Gott gemeint, sondern der Glaube, dass morgen um 8 Uhr ein Wunder geschieht. Und weil morgen das Wunder kommen wird, braucht er sich ja heute nicht anzustrengen und keine Sorgen zu machen...


Soweit Herr Andreoli (sinngemäß). Wenn ich mir diese "Symptomliste" anschaue, so scheinen mir sehr viel Deutsche Italiener zu sein - wenn man mal vom letzten Punkt absieht. Denn die ersten drei Merkmale findet man ja wohl auch genug bei uns, wo es oft um "Performance" und "mein Haus, mein Auto, mein Boot" usw. geht. Und dass die Solidarität in Deutschland, der Schweiz oder Österreich weiter als bis zum Rande der engeren Familie reicht, scheint mir auch zweifelhaft - von erstmaligen Flutkatastrophen mal abgesehen (bei der zweiten oder dritten erlahmt die Solidarität jedenfalls, wenn man den Spendensammlern glauben darf).


Es ist wohl weniger eine italienische Symptomatik als eine durch den Neoliberalismus und den Marktfundamentalismus ausgelöste Pathologie, die allerdings im Italien Berlusconis gut zu beobachten ist (aber auch nicht mehr oder besser als in den USA - und dort wird ja auch an das Wunder, dass jeder es schaffen kann, geglaubt...).


(http://www.huffingtonpost.it/2013/08/06/vittorino-andreoli-intervista-italia-malato-psichiatrico_n_3712591.html?utm_hp_ref=italy)