Oper

Gestern Abend, Deutsche Oper, Berlin. Ich habe zwei Plätze in der 22. Reihe gekauft, Nr. 1 und 2, wie immer direkt am Gang. Sicher ist sicher. Wenn es brennen sollte, sind wir schnell draussen. Und wenn es doch mal nicht brennen sollte, kann ich wenigstens meine Beine ausstrecken.


Als freundliche Mitmenschen warten wir, meine ständige Begleiterin und ich, im Gang stehend, dass sich die potenziellen Besetzer der anderen Plätze vor uns niederlassen, um ihnen das Sichdurchdrängeln zu ersparen.


Die Oper ist nahezu ausverkauft, fast alle Reihen fest geschlossen. Nur in Reihe 22, unserer Reihe, in der es ca. 30 Plätze gibt, sind lediglich ein oder zwei Stühle besetzt. Die obligatorische Aufforderung, sein Handy abzustellen, erscheint auf Deutsch und Englisch auf eine Leinwand über der Bühne, und wir setzen uns in die fast leere Reihe.


Was stimmt nicht mit dieser Reihe, dass wir mehr oder weniger die einzigen sind, die da sitzen? Haben sie mir wieder irgendeinen Scheiß angedreht? Waren teuer genug, die Karten, und trotzdem Ladenhüter? Vielleicht strömt ja irgendein Gas von den Stühlen aus, so dass man dauerhaft durch den Besuch der Oper geschädigt wird, wenn man in Reihe 22 sitzt? Jeder scheint es zu wissen, nur wir nicht, wir Idioten. Beunruhigend. Ich spüre noch nichts von dem Gas. Ein leichtes Kratzen im Hals, das könnte es sein. Mein ständige Begleiterin reicht mir die Bonbondose. Ich lutsche, was die Folgen des Gase mildert.


Es riecht nach Vivil. Pfefferminz. Gibt es eigentlich noch Vivil? Kleine, weiße, rechteckige Pfefferminz-... ja, wie nennt man die eigentlich, diese rechteckigen Dinger, 1 cm x 0,5 cm groß, tablettenartige Objekte mit dickerem Rand und dünnerer Innenseite, im PEZ-Format, PEZ gibt es auch nicht mehr. Und die PEZ-Spender, kleine Automaten im Taschenformat, die jeweils ein PEZ oder eben ein Vivil ausspuckten, auch nicht. Bei Vivil und PEZ entstand beim Lutschen ein Loch in der Mitte, durch das man seine Zunge stecken konnte.


Auf der Bühne geht es um Sex. Heinrich war im Venushügel. Verklemmte, gepanzerte Ritter, die lieber singen als vögeln. Plumpe, gesungene Metaphorik, während während wir vergiftet werden, was ja viel dramatischer ist.


Ein Nervengas, das nach Pfefferminz riecht. Die Vivil-Tarnung.


Aber vielleicht, das habe ich schon mal erlebt, sind die Plätze in Reihe 22 allesamt von einer Reisegruppe gebucht, und ihr Bus steckt im Stau. Das würde mich beruhigen. Mal sehen, ob sie in der Pause kommen...


Sie kommen nicht. Dafür setzen sich Leute, die auf den billigeren Plätzen gesessen haben, nach der Pause auf die freien Stühle in unserer Reihe. Wissen die dann nicht, dass hier Gas ausströmt? Wenigstens sind wir nicht die einzigen Idioten. Das tröstet, auch wenn die viel weniger bezahlt haben, um vergiftet zu werden. Jetzt weiss ich, was Benchmarking ist. Einige der Leute, die jetzt neben uns sitzen, husten schon...