Trend zur losen Kopplung (am Beispiel N. Berggruen)

Nicolas Berggruen ist Finanzinvestor. Er hat vor einiger Zeit Karstadt gekauft und es nach einiger Zeit wieder verkauft. Er führt ein - wie ich finde - sehr konsequentes Leben, das eines der Grundprinzipien von Märkten, speziell von Finanzmärkten, umsetzt: die lose Kopplung. Bei den Finanzmärkten handelt es sich um die lose Kopplung zwischen Eigentum und Eigentümer, d.h. man kann sich z.B. innerhalb von Sekunden von seinem Eigentum trennen (etwa, indem man seine Karstadt-Aktien verkauft). Aber dieses Prinzip kann man auch in Bezug auf andere Kopplungsbeziehungen anwenden.


Fangen wir bei anthropologischen Grundlagen an: Es bedarf keiner festen Kopplung zwischen einem Mann und einer Frau, um ein Kind zu zeugen, obwohl in den meisten Gesellschaftsformen so etwas wie die feste Kopplung zwischen beiden in Form der Ehe institutionalisiert wurde, was aber inzwischen wieder mehr gelockert wurde.


Aber es gab bis vor nicht allzu langer Zeit eine feste Kopplung zwischen einer Person (Mutter), ihrem Organismus, und dem werdenden Kind in Form der befruchteten Eizelle. Hier ist es aufgrund der modernen Reproduktionsmedizin zu einer radikalen Entkopplung gekommen. Leihmütter können fremde, künstlich befruchtete Eizelen implantiert erhalten und die Kinder austragen. Analoges gilt für die Samenspende, durch welche die Befruchtung einer Eizelle von der Kopplung an die Person eines bestimmten Mannes entkoppelt wurde.


Nach der Geburt entstehen üblicherweise (aber nicht notwendig) Bindungen zwischen Mutter/Vater und Kind. Aber diese Bindung kann auch gelockert/verhindert werden, d.h. die fürsorgenden Personen können ausgetauscht werden (=lose Kopplung).


Man könnte diese Reihung der Transformation von einstmals als selbstverständlich vorausgesetzten festen Kopplungen zu losen Kopplungen sicher noch weiter durchdeklinieren.


Das Beispiel von Herrn Berggruen scheint mir insofern signifikant, als er das Prinzip loser Kopplung sehr konsequent zu leben scheint. In Marktgesellschaften wird an die Stelle der Integration in mehr oder weniger enge gesellschaftliche Strukturen (= das soziale System als Überlebenseinheit, außerhalb der das Individuum nicht existieren kann), die meist schon bei der Geburt festlegen, welche Position man einnehmen wird, der Markt gesetzt. Er eröffnet die Möglichkeit durch Geld und Kauf lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistunen ein hohes Maß individueller Unabhängigkeit (= Individuum als Überlebenseinheit) von gegebenen sozialen Strukturen zu gewinnen.


Berggruen, der - wenn das, was über ihn in der Zeitung steht, stimmt - lange Zeit ohne festen Wohnsitz durch die Welt jettete (keine feste Kopplung zwischen Ort und Wohnen) und in Hotels wohnte, hat nun zwei Kinder bekommen, im Alter nur wenige Tage auseinander. Er war der Samenspender, woher die Eizellen stammten, ist in der Presse nicht erwähnt, auf jeden Fall wurden beide Kinder von Leihmüttern ausgetragen. Jetzt werden sie von zwei Nannis groß gezogen. Immerhin hat der Besitz dieser Kinder zu einer festeren Kopplung von Wohnen und Ort bei Herrn Berggruen geführt: Er hat ein Haus mit mehreren Stockwerken bezogen, wobei die Nannis mit den Kindern im einen Stock wohnen, er selbst im Stockwerk drüber. Die Nannis sind, vermute ich, angestellt und daher im Prinzip austauschbar.


Um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Mir geht es hier nicht um eine moralische Bewertung oder die Frage, was das für die psychosoziale Entwicklung dieser Kinder bedeuten mag. Ich finde einfach dieses Lebensprinzip interessant, das wahrscheinlich seine Wurzel ja schon in der Erfindung des Privateigentums haben dürfte. Property - der englische Begriff bringt es m.E. sehr schön auf den Punkt - (= Eigenschaft) war etwas, das fest an eine Person gekoppelt schien (Schönheitsoperationen können das zumindest in Bezug auf körperliche Merkmale ändern). Property (= Eigentum) wurde zunächst wohl als Erweiterung des Selbst erlebt/konzipiert, auf Grund der dinglichen Eigenarten des Eigentums, wurde es entkoppelbar... (weiß nicht, ob das begriffsgeschichtlich so korrekt ist, d.h. erst mal ist das nur eine Hypothese, die ich aber einigermaßen interessant finde).


Unterschiedliche Gesellschaftsformen hinsichtlich ihrer Kopplungsmuster zu untersuchen, scheint mir ein spannender Ansatz...


Quelle: Nicolas Berggruen: Investor kauft sich zwei Babys - Kinder | STERN.de