Waag-halsiges zum Auftakt

o.k. – jetzt ist also der blog-stab im Staffellauf an mich weitergegangen.


Eigentlich wollte ich den ersten Beitrag auf irgendwas in der Tagesschau beziehen. Die habe ich aber wegen überzogener Sport-Berichterstattung der ARD verpasst (und danach war der Fernseher von diversen „Subsystemen“ meiner Familie blockiert). Als wir nun eben – kurz vor Mitternacht (So/Mo) – alle zusammen saßen und ich meinte, dass ich mir noch was für den „Blog“ überlegen müsste, kam der spontane Vorschlag: „schreib doch mal was über unsere blöde Waage!“.


Damit kommen wir zu einem wirklich ernsten Thema. Es beginnt bei jenem digitalen „Ding“, das wir uns vor ca. 2 Jahren haben andrehen lassen: Standfläche aus Glas, misst angeblich auch Körperfett etc. – und nebenbei auch noch das Gewicht. Digital, mit 1 Stelle hinterm Komma, also 100 Gramm genau. In der Tat: Man kann fünf- oder mehr-mals hintereinander auf diese Waage steigen: sie zeigt immer genau dasselbe an. „Hohe Reliabilität“ würde man als Testmensch sagen.


Das liegt aber scheinbar nur an einem internen Speichermechanismus mittlerer Reichweite: Das ganze funktioniert nämlich nur, wenn man nicht mehr als ca. 10 min dazwischen wartet. Steigt man 15 min später auf die Waage ergeben sich Abweichungen bis zu 2 kg ! – also dem 20-fachen der vorgetäuschten Genauigkeit. Lausige Validität!


Dieses „Waage“ genannte Ding hat uns schon zu unzähligen Experimenten herausgefordert. Genau haben wir die Zusammenhänge immer noch nicht durchschaut (weshalb die Erklärung eben auch nur als Hypothese zu werten ist – hat jemand eine bessere ??). Heinz v. Foerster und seine nicht-triviale Maschine lassen grüßen.


So weit so gut – und höchstens Alltagsspaß bzw. –ärger.


Ernst wird es erst, wenn man sich klar macht, wie hervorragend diese Waage den Zeitgeist widerspiegelt: Vorgetäuschte Präzision. Mich berührt dies besonders in der Psychotherapieforschung. Bekanntlich misst die RCT-Forschung (die manchen allein als „wissenschaftlich“ gilt) ganz genau einen bestimmten Effekt. Damit man – nach klassischen experimentellen Vorstellungen (EXPRA 1. + 2. Semester) – sicher sein kann, dass nur die „Wirkvariable“ wirkt, muss der Therapeut jede über die Vollstreckung eines Manuals hinausgehende Kompetenz ablegen. Und damit man weiß, WO was wirkt, muss man Patienten nehmen mit reinen Störungsgruppen.


Beides – Manual-treu-vollstreckende Therapeuten und reine Störungsgruppenträger als Patienten – kommen zwar in der freien „Wildbahn“ klinischer Praxis fast nie vor. Aber über diese wissen wir zumindest hochreliabel Bescheid. Und dieses Wissen ist – wie die meisten LeserInnen wissen – die **einzige** „anerkannte“ Basis, nach der in der BRD über die Ausübung von Psychotherapie entschieden wird. Im Namen der Wissenschaft! (wird jedenfalls behauptet).


Aber ich wollte heute Nacht gar nicht mit einem so ernsten und traurigen Thema beginnen. Also lasse ich es erstmal sein - gehe oben ins Bad, stelle mich vielleicht auf die Waage und träume danach von einer Psychotherapieforschung, welche das klinische Gewicht eines Ansatzes zwar nicht digital ganz genau vortäuscht, dafür aber etwas gültiger ist.