Die Magie der Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock

Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit jemandem eine Weile zusammen spazieren. Merken Sie dann nicht auch, dass sich ganz überraschenderweise die Gangart angleicht? Oder Sie gähnen und merken, dass andere auch zu gähnen anfangen? Auf jeden Fall ist Ihnen dies beim ansteckenden Lachen bekannt. Man nennt diesen Vorgang nonverbale (emotionale) Synchronisation. Es handelt sich dabei sowohl um eine physiologisch wechselseitige Aktivierung als auch um intensivierte Empathie. Dies pro-soziale, kommunikative Verhalten spiegelt zudem eine wechselseitige Abhängigkeit von physiologischen und psychologischen Aspekten, die nicht unbedingt der kognitiven Kontrolle unterliegt. Hirnphysiologisch gesehen kommt es zu einer Verringerung der Eigenwahrnehmung bei gleichzeitiger Erhöhung der Wachheit für äußere Signale. Ein solches Geschehen vollzieht sich unbewusst, beinah reflexartig, abgekoppelt von der verbalen Kommunikation. Die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und Moderatorin Anne Will brillierten im Interview am vergangenen Sonntag (25.4.2021), man könnte fast schon sagen, meisterhaft diese nonverbale Synchronisierung. Während sich Baerbock als Meisterin des „Schnellsprechens“ outete, konterte Will ebenso meisterhaft als „Schnellläuferin“. Konnten doch ihre zumeist übereinander geschlagenen Beine einfach nicht stille sein. Sie wippten, wackelten, nippten auf Zehenspitzen am Boden, um dann wieder übereinandergeschlagen zu wippen. Dabei spielte es auf den ersten Blick keine Rolle, wer denn nun eher agierend oder reagierend war. Bei der Synchronisierung geht es auch gar nicht darum, ist doch der Effekt, dass es so kommt und nicht anders, von Belang und kennzeichnend. Bei aller Kontroverse zwischen den beiden Frauen, die von journalistischen Beobachtern nach dem Interview angeführt beschrieben wurde, lagen die beiden Frauen emotional gesehen gar nicht so weit auseinander. Spiegelt doch ihre nonverbale Synchronisierung (trotz harter Diskussion um Gender, Machtpolitik usw) ein deutliches Maß an kommunikativer Empathie. Vielleicht hat dies ja auch einen derart harten Diskussionsstil über die Sachthemen erst ermöglicht. Und doch möchte ich zum Schluss eine weitere Überlegung anmerken: ein journalistisches Rollenmerkmal ist die notwendige und genügende Distanz zum Gegenüber. Bin mir daher nicht so ganz sicher, wie es gerade darum am vergangenen Sonntag bestellt war. Bei genauerem Blick konnte man feststellen, dass die beiden Frauen, ohne große Vorrede, unmittelbar und gleich so anfingen miteinander zu kommunizieren, wie ich es gerade beschrieben habe. So als hätten sie „unbewusst“ nur darauf gewartet, impulsiv gleich loszureden und gleich loszulaufen. Ich erinnere mich an Baerbocks kommunikativen Auftritt in anderen Situationen. Auch dort springt sich beinah unmittelbar in den kommunikativen Raum und füllt diesen recht schnell-sprechend mit Bravour und Überzeugung aus. Man sieht ihr förmlich an, dass sie es so und nicht anders will (kann?). Wenn dies nun gar ein eher typisches Kommunikationsmuster von Annalena Baerbock ist, bin ich neugierig, wie sich dies als nonverbale Einladung zur Synchronisation im Wahlkampf auswirken wird. Wenn sie in Zukunft, ebenso wie bei Frau Will, solche Synchronisationen initiiert und beherrscht, wird es manch ein Kontrahent schwer haben, sich Baerbocks Magie zu entziehen.