Gewinnen und gemeinsam fühlen

Erst wollte ich vorgestern Abend zu Anfang gar nicht reinschauen. Die 2.Halbzeit würde es auch tun, dachte ich. Jetzt bin ich froh, von Anfang an mit dabei gewesen zu sein. Vor dem Bildschirm natürlich.


Das Spiel ist inzwischen ja rauf und runter analysiert worden. Ich wäre sowieso bestimmt auch kein guter Kommentator gewesen. Aber eins muss ich noch loswerden. Ich erinnere mich nicht daran, jemals nach einem solch bedeutenden Spiel so viel Ausdruck von Emotionalität im Fernsehen gesehen zu haben. Natürlich gibt es sonst regelmäßig die typischen plakativen Einstellungen und Nahaufnahmen vom Sieger und vom Verlierer. Der Eine: jubelnd, die Arme hochreißend, laut schreiend, vor der eigenen Fankurve ausgelassen tanzend. Der Andere: still zurückgenommen, sichtlich mit der eigenen Enttäuschung kämpfend, mit eingefallenem Gesicht, kraftlos vom Spielfeld gehend. Das Gesicht nicht selten hinter dem über den Kopf gezogenen Trikot versteckt.


Der Schnitt in den TV-Redaktionen seziert in der Regel professionell, auf die Sendeminuten achtend, diese Emotionalität effizient in wohl proportionierte Aufmerksamkeitshäppchen. Dem Sieger gebührt dabei der größte zeitliche Raum. Insgesamt huscht dies Geschehen aber in Sekundenschnelle über den Bildschirm. Aufmerksamkeitsverlierer sind dann natürlich Beide.


Ganz anders, gestern Abend. Ich habe nicht die Minuten gezählt. War ich doch zu sehr beeindruckt von diesem emotionalen Raum, der sich in all den natürlichen Schattierungen, so wie man sie eigentlich erwarten kann, aufgetan hatte. Beinah, so kam es mir vor, vergingen insgesamt 20 bis 30 Minuten. 20 bis 30 Minuten voller ausdrucksstarker, ganz ganz unterschiedlicher, individueller Emotionalität, die sich nur zum Teil in die "typische" Sieger-und Verliereremotionalität unterscheiden ließ.


Samstag Abend triumphierten natürlich die Gewinner, die Bayern, verdientermaßen und die Verlierer blickten bedröppelt zu Boden oder orientierungslos ins Irgendwo. Aber man sah auch, bei Beiden, die unvorstellbare Anstrengung, die Tränen der Anstrengung, das Leiden der Selbstaufgabe. Man sah bei Beiden den Stolz des Spielers, der weiß, worum es ging und beim nächsten Mal wieder gehen wird.


Heißt es nicht doch: nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Ich glaube, dass diese tiefen Gefühle, die facettenreiche Vielfalt derselben, der sichtbare Ausdruck derselben, am Ende des Spiels sozusagen erlaubt, ein wichtiges Bindeglied sind zwischen aktuellem Gewinn und unsicherer Zukunft einerseits, und zwischen aktuellem Verlust und erhofftem zukünftigen Gewinn andererseits.


Gut, dass es so etwas wie die Spiegelneuronen gibt. Gut, dass wir daher auf dem Sofa oder in der Kneipe oder im Regen beim Public Viewing mit dabei sind.