Reduzierte Komplexe

„Reduzierte Komplexe“ – was soll das denn sein? So fragen sich vielleicht Leser/innen dieses neuen Blogs neugierig und schauen tatsächlich rein. Dafür schon einmal: Ganz vielen Dank – besonders auch an jenen systemischen Kreativdenker, der diesen Namen ersonnen hat, an Fritz B. Simon.


Der Titel des Blogs ist freilich mehrdeutig. Zum einen erinnert er viele Leser/innen sicherlich an den systemtheoretischen Terminus „reduzierte Komplexität“ bzw. „Reduktion von Komplexität“, einer Grundoperation selbstreferentieller Systeme hinsichtlich der Verarbeitung der unermesslichen Vielfalt von Umweltreizen. Und diese Referenz passt auch sehr gut zu dem, was ich in diesem Blog bieten möchte: pointierte, vielleicht auch provokative und damit freilich komplexitätsreduzierende Beschreibungen der gesellschaftlichen Aktualität, die zum Widerspruch einladen. Dabei schaue ich aus der Perspektive eines Sozialwissenschaftlers, der den Kontakt mit der Wirklichkeit nicht scheut, dessen Statements durchaus Fragen nach Praxistauglichkeit herausfordern sollen.


Damit komme ich zum anderen Deutungsgehalt des Blog-Titels: Dieser könnte auch den Bedeutungszuwachs der angewandten Sozialwissenschaft Soziale Arbeit (Sozialarbeit und Sozialpädagogik) zum Ausdruck bringen. Kenner/innen des Verlagsprogramms von Carl Auer wissen natürlich, dass ich insbesondere in diesem Feld aktiv bin, mich durch mein Publizieren an der Weiterentwicklung der systemischen Sozialen Arbeit beteilige. Sozialarbeiter/innen, die in regelmäßigen Abständen mit dem Professionsstatus und der wissenschaftlichen Fundierung ihres Tuns hadern, haben aufgrund ihrer gestiegenen gesellschaftlichen Wichtigkeit durchaus allen Grund, ihre Komplexe zu reduzieren. Derzeit sind Sozialarbeiter/innen die nachgefragtesten Akademiker/innen auf dem Arbeitsmarkt (http://www.sueddeutsche.de/karriere/soziale-berufe-sozialarbeiter-gefragt-wie-noch-nie-1.3027086). Da sich hinsichtlich dieses Marktes leider noch nicht die bekannte Relation von Angebot und Nachfrage zeigt, dass also bei steigender Nachfrage und gleichbleibendem Angebot die Preise in die Höhe gehen, wird der Bedeutungszuwachs von Sozialarbeiter/innen noch nicht in Einkommenszuwächsen sichtbar.


Allerdings haben sehr viele junge Leute offenbar verstanden, wo und welche Experten in der Gesellschaft gebraucht werden. Bei nahezu allen Bachelorstudiengängen der Sozialen Arbeit in Deutschland übersteigt die Studienplatznachfrage das offerierte Angebot der Hochschulen. Am Fachbereich Sozial- und Bildungswissenschaften der Fachhochschule Potsdam, an dem ich lehre, bewerben sich jährlich ca. 2000 Menschen um 120 Studienplätze der Sozialen Arbeit. Diese große Nachfrage führt dann bei uns in Potsdam etwa dazu, dass der Numerus Clausus im Studienfach Soziale Arbeit bei ca. 1,7 liegt, während er sich beispielsweise beim Bauingenieurwesen eine ganze Note tiefer, etwa bei 2,7 einpendelt.


Soziale Arbeit studieren also die leistungsstarken Absolventinnen und Absolventen. Diejenigen, die aufgrund ihrer Abiturnote keinen Studienplatz bekommen, wandern in andere, oft verwandte Studienprogramme der Sozial-, Erziehungs- oder Bildungswissenschaften ab.


Meine dazu passende These ist, dass wir in der Sozialen Arbeit auch die Besten benötigen. Denn wir haben es mit einem äußerst anspruchsvollen Aufgabenbereich zu tun, der auf unsere Absolventinnen und Absolventen wartet, ein Aufgabenbereich, in dem es gilt, Komplexität zu gestalten. Sozialarbeiter/innen sind heute jene Professionellen, die das als ihre professionellen Fachqualifikationen mitbringen, was inzwischen überall in der Gesellschaft als soziale Schlüsselqualifikationen erwartet wird: komplexe Verhältnisse angemessen zu analysieren, zu verstehen und mit den notwendigen Methoden der Gesprächsführung, der Beratung, des Coachings und der Mediation zu gestalten. Ist das etwa kein Grund, die reduzierten Komplexe der Sozialen Arbeit zu feiern?