Wachstum 1. Ordnung und Wachstum 2. Ordnung

Kapitalismus und Wachstum hängen offenbar zusammen: Die Unternehmen wollen expandieren. Auch die Politik setzt auf Ausweitung der gesamten Wirtschaftsleistung einer Region, um letztlich das Steueraufkommen steigen zu sehen. Zudem weitet sich das Geldvolumen stetig aus, weil über die Zentralbank und über die Giralgeldschöpfung der Privatbanken permanent neues Geld, vor allem über Kredite in den Wirtschaftskreislauf hineinfließt. Die Kritiker/innen dieses Wachstums merken zurecht an, dass die Expansionsdynamik des Kapitalismus keine Grenzen kennt, dass die natürlichen Grenzen unserer materiellen Ressourcen damit gesprengt werden und dies letztlich zu ökologischen Katastrophen führt.


Damit fokussieren diese Kritiker/innen jedoch lediglich ein Wachstum, das ich Wachstum 1. Ordnung nenne. Es ist das Wachstum, das materiell verläuft, das Rohstoffe verbraucht und die natürlichen Ressourcen der Erde versiegen lässt. Was die Wachstumskritiker/innen offenbar nicht sehen, ist, dass wir heute ein weiteres rasant verlaufendes Wachstum beobachten können, das Wachstum 2. Ordnung, das eher als virtuell bewertet werden kann, das die Zunahme an kognitiver Kapazität, an Informationen, an Wissen, an Software zum Ausdruck bringt. Es ist ein geistiges Wachstum. Und dieses ist im Gegensatz zum begrenzten Wachstum 1. Ordnung offenbar grenzenlos. Das Wachstum 2. Ordnung findet keine natürlichen Barrieren, es kann sich unendlich ausdehnen. Die Zukunft des Kapitalismus ist schon jetzt genau mit diesem Wachstum verbunden.


Nicht nur die Informationstechnologie, die Branche der Softwareentwicklung geht mit diesem Wachstum einher. Sondern auch die zahlreichen Beratungs- und Unterstützungsprofessionen, die das komplexer werdende Leben der Menschen zu orientieren versuchen, lassen sich dieser Form des Wachstums zuordnen.


In einer funktional differenzierten Gesellschaft ist zudem allen Funktionssystemen, eben nicht nur dem Wirtschaftssystem eine Expansionstendenz inhärent. Diese kann sicherlich kritisiert werden, aber die meisten Funktionssysteme offenbaren ein Wachstum 2. Ordnung, ein Streben, das jeweils die Zunahme von rechtlichen, politischen, pädagogischen, massenmedialen, künstlerischen, wissenschaftlichen etc. Bezügen auf die gesamte Gesellschaft zeigt. Hier scheint dann nicht die ökologische Gefahr der Ausbeutung unserer natürlichen Ressourcen das Problem zu sein, sondern die gegenseitige Behinderung der Systeme bei der Realisierung ihrer Funktionen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Ausweitung einer planwirtschaftlich orientierten Politik hemmt die wirtschaftliche Eigendynamik – nicht nur hinsichtlich des Wachstums 1., sondern auch bezüglich des Wachstums 2. Ordnung.