„Bei der Frage nach dem Bewusstsein ist der Weg das Ziel!“
Matthias Eckoldt hat für sein neues Buch „Kann sich das Bewusstsein bewusst sein?“ zwölf namhafte Vertreter aus Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaften zu einem schwierigen Thema befragt. Wir wollten vom Autor erfahren, wie er selbst über die knifflige Sache mit dem Bewusstsein denkt. Hier seine Antworten:

Herr Eckoldt, sie haben Experten unterschiedlicher Disziplinen die Frage vorgelegt: „Kann sich das Bewusstsein bewusst sein?“. Aus den Einzelgesprächen ist ein wunderbares Buch geworden, das wie ein Kaleidoskop die neuesten Forschungsstände zu dem keinesfalls trivialen Forschungsgegenstand Bewusstsein widerspiegelt. Das Gehirn, Protagonist Ihres letzten Buches „Kann das Gehirn das Gehirn verstehen“, war als ein organisches ‚Etwas‘ da deutlich konkreter: Wie steht es ums Bewusstsein,  die Con-scientia – die Teilhabe am Wissen?  Aus welchen Fachgebieten haben Sie sich Ihre Mitwisser geholt?

Matthias Eckoldt: Sicherlich, das Gehirn ist räumlich deutlich konkreter als das Bewusstsein, das sich ja gerade dadurch auszeichnet, dass es keine Ausdehnung hat. Trotzdem aber sind für mich Gehirn und Bewusstsein als Forschungsgegenstände gleich gewichtig. Und es deutet vieles darauf hin, dass die beiden Themen eng zusammenhängen. Die neun Hirnforscher, die ich für das Buch „Kann das Gehirn das Gehirn verstehen?“ zum Gespräch gebeten hatte, ließen sich seinerzeit auch auf die Frage ein, was denn Bewusstsein sei. Allerdings bekam ich von ihnen neun sehr unterschiedliche Antworten. In einem  Punkt jedoch waren sich die Hirnforscher einig: Die Neurowissenschaft ist noch sehr weit von einem Verständnis des Phänomens Bewusstsein entfernt. Da mich die Frage nach dem Bewusstsein sehr umtreibt, entstand nun dieser neue Gesprächsband, in dem herausragende Wissenschaftler verschiedener Disziplinen vertreten sind. Die Hirnforscher sind hier in der Minderheit. Die Philosophen dagegen in der Überzahl. Mit Dirk Baecker, der Bewusstsein aus der gesellschaftsbildenden Du-Perspektive zu erklären sucht, ist auch die Soziologie vertreten. Außerdem konnte ich mit Abt Muho einen Buddhisten gewinnen. Der Buddhismus scheint mir für die Klärung der Bewusstseinsfrage deswegen so wichtig, weil er ja keine Religion ist, sondern von seinen Praktikern als 2000 Jahre alte kontemplative Wissenschaft verstanden wird.   

Carl-Auer: Nachdem Sie mit all diesen Experten das Bewusstsein hin- und hergewendet haben, halten Sie die Frage danach überhaupt noch für eine sinnvolle Frage? Anders formuliert: Meint die Frage nach dem Bewusstsein nicht immer etwas anderes, nämlich verschiedene Verständnishorizonte, je nachdem, ob man sie einem Wissenschaftstheoretiker, einem Linguisten, einem Biologen oder Physiker, einem Staatstheoretiker, einem Künstler, Theologen oder Psychologen vorlegt?

Matthias Eckoldt: Die Frage meint immer dasselbe, nämlich die Suche nach einer Erklärung des Phänomens Bewusstsein, das ja seinerseits die Frage erst ermöglicht. Insofern ist die Sache schon ein wenig verflixt, weil man in zirkuläre Zusammenhänge kommt. Denn letztlich kann es nur das Bewusstsein selbst sein, das sich – im besten Fall – bewusst sein kann. Aber deswegen muss man nicht nur nicht auf die Frage verzichten, sondern sie sogar immer wieder stellen. Und Sie sehen ja, dass man spielend über 250 Seiten mit Ansätzen ihrer Beantwortung zubringen kann. Aber natürlich stimmt es, dass die Interviewten immer vor ihrem Erkenntnishintergrund antworten. Nur spielt sich auch das wiederum im Horizont des Bewusstseins ab. Insofern ist die Frage nach dem Bewusstsein auf alle Fälle sinnvoll, auch wenn man nicht darauf hoffen darf, eine endgültige Antwort zu bekommen. Hier ist der Weg das Ziel. Und das macht das Ganze so spannend. 

Carl-Auer: Gleich mit dem allerersten Satz in Ihrem Vorwort stechen Sie mitten hinein ins Wespennest der Erkenntnis, wenn Sie fragen: „Wie konnte Bewusstsein überhaupt entstehen?“ Ketzerische Gegenfrage: Wie kommen Sie und/ oder Ihre Diskutanten zu der Annahme, das Bewusstsein sei entstanden,  und wenn entstanden, dann woraus? Landet man damit nicht schnurstracks wieder im uralten Streit über das Verhältnis von Substanz und Akzidens? 

Matthias Eckoldt: Was wäre die Alternative? Bewusstsein gab es immer und wird es immer geben? Wenn dem so wäre, woran ich starke Zweifel hege, könnten wir Menschen das gar nicht erkennen. Denn unser Erkenntnisvermögen ist auf Zeit und Raum angewiesen. Kant nannte das – hinzu kommt als Drittes noch die Kausalität – die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis. Gäbe es also etwas Unendliches, können wir Menschen es nur als etwas Endliches erkennen. Aufgrund dieser Erkenntnisbedingungen sehen wir die Dinge auch im ständigen Wandel. Wir haben wohl eher einen Sinn für den Prozess als für den Zustand. Wenn wir uns andere Tiere anschauen, dann fällt ja auch auf, dass bei uns etwas grundlegend anders ist. Wir Menschen werden durch das Bewusstsein aus den Reflexroutinen herauskatapultiert und sind dazu verdammt, diesen Zustand mit eigenem Sinn zu füllen. Das müssen Tiere nicht, weswegen sie auch über 50 Millionen Jahre im Prinzip dasselbe machen können. Selbst so nachweislich hochintelligenten Tieren wie den Bienen, fällt nichts anderes ein als Nektar zu sammeln und daraus Honig zu machen. Die Frage, ob das gut oder schlecht ist, sei damit jedoch nicht gestellt und schon garnicht beantwortet. Übrigens widmet sich der Hirnforscher Georg Kreutzberg der Entstehung des Bewusstseins und hat in dieser Frage sogenannte springende Gene im Auge, während die Philosophin Natalie Knapp den Bewusstseinswandel in verschiedenen Menschheitsaltern untersucht und ihn in Verbindung mit dem individuellen Bewusstseinswandel bringt – und was im Wandel ist, kann wohl kaum den Anspruch auf Ewigkeit erheben. Außerdem führt die Annahme, dass Bewusstsein entstanden ist, nicht automatisch in alte philosophische Dichotomien. Johannes Wagemann geht beispielsweise von der Gleichursprünglichkeit von Materiellem und Geistigen aus. Da stellt sich dieses Problem garnicht erst. Ähnlich Harald Wallach. Auch Markus Gabriel sieht an dieser Stelle kein Problem, da er den Geist nicht den Naturgesetzen unterstellt weiß. Für den Philosophen  und Informatiker Klaus Mainzer hingegen stellt sich Bewusstsein ohnehin nur als Zwischenstufe der Evolution dar, das im nächsten Schritt – der Künstlichen Intelligenz – kaum mehr eine Rolle spielen wird. 

Carl-Auer: Bei den Neuwissenschaftlern hat man mitunter den Eindruck, dass sie sich im Wettrennen von Hase und Igel befinden: Sie setzen hochentwickelten Bildgebungsverfahren auf der Jagd nach neuronalen Korrelaten von Bewusstseinsinhalten ein, die dem Bewusstsein selbst schon längst evident zu sein scheinen.  Bringt uns zum Beispiel ein Forscher wie Christof Koch das Bewusstsein tatsächlich näher, wenn er über das Claustrum, eine Region des Gehirns, spekuliert, es orchestriere wie ein Dirigent die Stimmen der verschiedenen Areale des Großhirns? 

Matthias Eckoldt: Unbedingt! Denn es besteht ja offensichtlich ein großer Unterschied darin, Bewusstsein zu haben und Bewusstsein zu verstehen. Wenn Hirnforscher wie Christof Koch uns heute mit ihren Arbeiten einen allerersten Einblick in die neuronale Struktur des Bewusstseins geben, dann stützen sie sich dabei auf die neuronalen Korrelate von Denk- und Wahrnehmungsmustern, also auf die Aktivitäten, die sich im Hirn zeigen, wenn sich im Geist etwas tut. Das ist der grundsätzliche Weg der Neurowissenschaft, der dann solche Beschreibungen wie die des Claustrums ermöglicht. Michael Pauen baut seine Theorie vom Geist auf diesen Weg der Neurowissenschaft und zeigt sich sicher, dass die Differenz zwischen subjektiver Erfahrung und objektiver Erforschung des Bewusstseins über kurz oder lang einschmelzen wird. Auch der Philosoph Philipp Hübl orientiert sich an den Naturwissenschaften, hält jedoch für die weitere Aufhellung des Bewusstseins eine Liaison zwischen Psychologie und Philosophie besonders in Fragen der Aufmerksamkeitsforschung für unabdingbar. Durch immer präzisere Eingrenzungen und mathematische Durchdringungen der neuronalen Aktivitätsmuster ist es John-Dylan Haynes bereits gelungen, die Handlung eines Probanden bereits sieben Sekunden bevor dem Probanden selbst seine Handlung klar war, vorherzusagen. Auch konnte er erste Erfolge beim Gedankenlesen via Hirnscan vermelden. Um auf die Fabel von Hase und Igel zurückzukommen: Der Igel, den Sie mit dem Bewusstsein identifizieren, mag vielleicht etwas cleverer sein als der Hase, der dann wohl für die Neurowissenschaft steht, aber im Gegensatz zum Igel kennt der Hase den gesamten Weg! 

Carl-Auer: Ich muss gestehen, dass mir die Lektüre Ihres Buches einen Riesenspaß bereitet hat, weil es mich unentwegt gedanklich zum Widerspruch herausforderte. Als Leser habe ich die verschiedenen Sichtweisen zu einem provisorisch interaktiven Annäherungsprozess zusammengefügt, woraus in Summe ein sehr bereicherndes Lesevergnügen erwuchs. Abschließende Frage an Sie: Welche Chancen auf Fertigstellung hätte Ihr Buch gehabt, wenn Sie Ihre Bewusstseins-Kombattanten nicht zu Einzelgesprächen, sondern an einen Tisch geholt hätten, um die Eingangsfrage „Kann sich das Bewusstsein bewusst sein?“ gemeinsam zu klären?  

Matthias Eckoldt: Das wäre eine durchaus spannende Angelegenheit gewesen, denn man hätte dann eine hochrangig besetzte Konferenz zum Bewusstsein gehabt. Das Buch wäre dabei sicherlich nicht entstanden, da die verschiedenen Positionen zum Bewusstsein gleichsam ungebremst aufeinander gestoßen wären. Aber vielleicht gibt das eine Idee für den umgekehrten Weg: Nach Erscheinen des Buches einen solchen großen runden Tisch zum Thema Bewusstsein einzuberufen!

Carl-Auer-Literaturtipp:
Matthias Eckoldt: „Kann sich das Bewusstsein bewusst sein?“ 
Matthias Eckoldt: „Kann das Gehirn das Gehirn verstehen? – Gespräche über Hirnforschung und die Grenzen unserer Erkenntnis“