Nur dem Tormann, der sich völlig ruhig verhält, schießt der Schütze den Ball in die Hände
„Dieses Ding – Der Ball ist das launische Objekt par excellence. Was auch immer man tut, es will nie gehorchen. Gerade darum bedarf es der besonderen Hinwendung: von Ballkünstlern und Philosophen“. Das ist die Headline, unter der René Scheu in der NZZ den Geist des Fußballs wortgewaltig mit dem Geist der jüngeren Philosophiegeschichte zusammengemischt und dabei ein nebulöses Gebräu geschaffen hat.

Ins Tor stellte er Martin Walser, der einmal folgenden Ausspruch getätigt haben soll: «Es gibt nur eines, was noch sinnloser ist als Fussballspielen: Nachdenken über Fussball.» Richtig verstanden, ist dies eine feinsinnig ironische Würdigung des Homo ludens.

René Scheu jedoch zieht vorsichtshalber gleich die gelbe Karte: „Doch Walser irrt.“ Denn spricht Walser hier nicht als Fußballverächter par excellence, die Stimme aus der Komfortzone eines Arbeitszimmers, ein Intellektueller und Sesselpupser ohne stramme Waden, vom heideggerschen In-der-Welt-sein höchstpersönlich ins Abseits gekickt?

Da sollte man vorsichtshalber nachtreten und sich dabei nicht lumpen lassen. Der Autor fährt eine ganze Mannschaft von Größen des Denkens und Dribbelns auf, um Walser und vielleicht Schiller gleich dazu, weltmeisterlich herauszufordern.

Anpfiff und Schuss Hans Ulrich Gumbrecht: 

Fußball ist „fokussierte Intensität“! – Der Ball rollt ins Aus. Rehagel verlässt die Trainerbank, schnappt sich das Leder und schleudert es nicht an Gumbrechts Birne, sondern ins Feld, denn „die Wahrheit liegt  auf dem Platz“. Husserl läuft los und führt dabei das Phänomen Ball so trickreich am Fuß, dass Walser beim bloßen Anblick der Unterschied von epoché und Seinsgeltung glatt wegtaumelt. Zum Glück sitzen Maradona, Zidane, Messi und Beckenbauer wie eine Mauer auf der Ersatzbank eines einzigen Satzes. Mehr müssen die Repräsentanten einer Konstitution der fundierten Realität, [sic] Fußballprofis, während der seitenlangen Ausführungen von Herrn Scheu nicht leisten. Torwart Walser hält währenddessen ebenfalls die Füßchen still: Als Kollege kennt er Peter Handkes Paradoxon vom Torhüter beim Elfmeter: Nur dem Tormann, der sich völlig ruhig verhält, schießt der Schütze den Ball in die Hände. 

Um es abzukürzen: Das grandiose Namedropping und Wortgeklingel über Anthropologie und Seinsphilosophie, vom Existenzialismus zurück zu Günter Netzer, mehr als 1.700 Worte, hat bisher noch kein einziger NZZ-Leser kommentiert. Wir tun es auch nicht, freuen uns aber aufrichtig, dass René Scheu am Ende seines Artikels das schöne Buch unseres Carl-Auer-Autors Fritz B. Simon „Vor dem Spiel ist nach dem Spiel – Systemische Aspekte des Fußballs“ in die Liste der NZZ-Buchempfehlungen zur EM aufgenommen hat. 

Carl-Auer-Literaturtipp:
Fritz B. Simon: „Vor dem Spiel  ist nach dem Spiel – Systemische Aspekte des Fußballs“