Spiegel im Spiegel

Spiegel im Spiegel ist der Titel eines der berührendsten Werke des estnischen Komponisten Arvo Pärt. Seit gestern DER SPIEGEL selbst mit dem „Fall Relotius“ an die Öffentlichkeit ging, steht Spiegel im Spiegel für ein System, das vielleicht in der Lage ist, sich selbst zu beobachten und ausreichend zu verstören, statt an seinen eigenen Regeln und Mustern früher oder später einzugehen. Presse behandelt und sorgt für Öffentlichkeit – und damit sorgt sie im besten Fall auch immer für sich selbst, noch wichtiger: behandelt sich selbst. SPIEGEL-Affäre, einmal anders ...? Ach, die Fakten ...


Nun schreiben Steffen Klusmann und Dirk Kurbjuweit vom SPIEGEL:


"Aber wir sehen in Claas Relotius nicht einen Feind, sondern einen von uns, der mental in Not geraten ist und dann zu den falschen, grundfalschen Mitteln griff. Er hat auch unser Mitgefühl."


Das ist ja nun ein interessanter Versuch, eine Sichtweise vorzuschlagen für die Kopplungsgeschichte von Claas Relotius zum SPIEGEL, seiner Leserschaft, zu den Kolleginnen und Kollegen und zu sich selber. Überzeugt dieser Versuch?


Einige Absätze vorher steht:


"Claas Relotius hatte offenbar das Gefühl, unseren Erwartungen nicht gerecht werden zu können mit guten und sehr guten Geschichten. Sie mussten exzellent sein. Wir haben ihm diesen Eindruck nie vermittelt (...)"


Die Vermittlung von Eindrücken ist auch ein interessanter Prozess. Wenn man davon ausgeht, dass der Empfänger die Bedeutung einer Botschaft bestimmt, ist dem Sender immer leicht ums Herz. Wenn man von Sender-Empfänger-Modellen Abstand nimmt, kommt die Komplexität dessen, was sich als Erwartung und Erwartungserwartung etabliert, wesentlich deutlicher ins Bild, aber es wird auch anstrengender mit den einfachen Platzzuweisungen. Kommunikation als Lebenskunst.


Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Aber: Lag das nicht alles im Bereich des Erwartbaren? Mit Lügenpresse-Kolportagen hat es nichts zu tun. Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.  Egal, von welcher Seite „der Lügner“ kommt, bzw. auf welche Seite hin er platziert wird, um sich dort auf ihn einschießen zu können. Wenn rechts links ist und links rechts, kommt lichts und renks heraus. Oder, mit Ernst Jandl gesagt: manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht velwechsern / werch ein illtum.“


Der Carl-Auer Verlag hat zu Konstruktivismus und Systemtheorie und ihrem enormen praktischen Nutzen zum Verstehen und Gestalten von Gesellschaft maßgebende Literatur veröffentlicht. Mit dem „Fall Relotius“ steht ein weiteres prominentes Beispiel zur Verfügung, diese Angebote und Ideen zu nutzen.