Full Metal Jacket

Da ich für die "Revue für Postheroisches Management" regelmäßig eine Kolumne schreibe, in der ich Filme bespreche ("Hollywood"), die aus systemischer Sicht interessant sind, muss ich (d.h. gönne ich mir) immer wieder Filme an(zu)sehen, die mir in der Hinsicht bemerkenswert erscheinen. Da ich vor habe, das nächste Mal etwas über Stanley Kubricks Darstellung von Krieg bzw. Kriegern zu schreiben, habe ich mir heute noch einmal "Full Metal Jacket" angesehen.


Er besteht eigentlich aus zwei Filmen, die allerdings durch einen der Protagonisten miteinander verbunden sind, den Soldaten "Joker". Im zweiten Teil werden Szenen aus dem Häuserkampf in Vietnam gezeigt, wie sie wahrscheinlich in den nächsten Tagen auch aus Gaza gezeigt werden könnten. Schrecklich und beeindruckend, beeindruckend schrecklich.


Im ersten Teil - und das ist der Grund, warum ich drüber schreiben werde - wird der Drill der Marines gezeigt. Armeen sind zwar keine Organisationen wie Unternehmen oder Krankenhäuser oder Schulen oder Universitäten, weil es totale Institutionen sind. Und in denen ist man als Mensch 24 Stunden, sieben Tage die Woche integriert. Da Integration heißt, dass man seinen Freiraum aufgibt (verliert), ist der Unterschied zu normalen Arbeitsstellen nicht zu verleugnen. Es gibt eben kein Privatleben jenseits der Organisation. Doch abgesehen davon, haben lassen sich gewisse Ähnlichkeiten beobachten. Das bezieht sich auf die Funktion von Hierarchie, auf die Notwendigkeit, sein Handeln an den Entscheidungen anderer zu orientieren und im Extremfall einfach zu gehorchen, auf die Mitgliedschaft zu größeren sozialen Einheiten etc.


Das Prinzip des Drills ist die Disziplinierung der Soldaten. Und das heißt, von ihnen wird die totale Unterwerfung unter die Anordnungen ihres Vorgesetzten gefordert. Um sie dazu zu "motivieren", werden sie gedemütigt. DAs ist die Sanktionsdrohung, die über der Grundausbildung schwebt. Wer irgendwelche Unterschiede zeigt und sich als Individuum bemerkbar macht, wird sanktioniert. Die Demütigung wird gesteigert und veröffentlicht. So muss z.B. ein besonders als aus der Reihe tanzend wahrgenommener, dicklicher Soldat mit runtergelassenen Hosen und dem Daumen im Mund hinter der im Gleichschritt marschierenden Truppe her watscheln... Ausserdem wird der Gruppendruck auf den Abweichler erhöht, indem für seine vermeintlichen oder wirklichen Fehler der ganze Trupp bestraft wird. Dadurch wird er systematisch zum Sündenböcke und Außenseiter gemacht. Man könnte auch sagen, dass Mobbing durch den Drill Instructor das Ausbildungs- oder Erziehungsprinzip ist. Das Ideal des guten Marine ist die vollkommene Unterwerfung unter die Befehle des Hierarchen, das Aufgeben jeder individuellen Entscheidungsfreiheit oder auch nur des Wunsches, dies zu tun.


Wie dies im Einzelnen geschieht, zeigt jede Szene dieses Teils des Films.


Solche Prinzipien entsprechen dem Modell der Organisation als Maschine, die von "oben" gesteuert wird. Solch eine Führungsidee kann nur funktionieren, wenn jede Eigeninitiative untergeordneter Chargen ausgeschlossen ist.


Im Film wird deutlich, dass nicht jeder Mensch in der Lage ist, solch einen sozialen Kontext zu bewältigen, d.h. psychisch und physisch zu überleben. Dass dieses Prinzip der Führung in der Realität nur beschränkt nützlich ist und nicht praktiziert wird, zeigt der zweite Teil des Films, in dem gekämpft wird und durchaus die Individualität der Kämpfer eine Rolle spielt.


Wie und wo die Parallelen zwischen einer Armee und einer der Organisationen, in denen wir in Friedenszeiten arbeiten, bestehen, möge jeder selbst überprüfen. Es gibt da meiner Erfahrung nach eine ziemlich weite Spannbreite...