Konstruktivismus und Fake News

Man hört in letzter Zeit gelegentlich, die Schamlosigkeit, mit der Fake News verbreitet werden, sei eine Folge des Konstruktivismus, der alle Wahrheiten leugnet und die Beliebigkeit von Aussagen legitimiere oder gar predige.

Wer so etwas verbreitet, hat offenbar seine Schulaufgaben nicht richtig gemacht, zumindest hat er nicht verstanden, worum es im Konstruktivismus geht.

Dazu ein paar grundsätzliche Bemerkungen: Die m.E. „radikale“ Grundlage des sogenannten „radikalen Konstruktivismus“ (um hier gleich deutlich zu sagen, dass es mir nicht um die Verharmlosung und leichtere Verdaubarkeit seines revolutionären Ansatzes geht) besteht darin, dass vom Beobachter und seinen Methode des Beobachtens und deren Wirkung auf den beobachteten Gegenstand nicht (!) abstrahiert werden darf, wenn Aussagen über die Welt und deren Beschaffenheit gemacht werden. Die Konsequenz dieses Ansatzes ist, dass niemand (=kein Beobachter) für sich beanspruchen kann, er verfüge über den Zugang zu einer höheren Wahrheit, die vom Beobachten unabhängig ist (es sei denn, er beruft sich auf eine Verkündigungswahrheit).

Dass mit den wahrgenommenen Phänomenen (wie immer man sie auswählen mag – auch da spielt der Beobachter ja schon eine entscheidende Rolle), unterschiedliche Erklärungen kompatibel sind, führt dazu, dass die Qualität von Erkenntnis (=Hypothesen) an ihrer Viabilität gemessen wird, d.h. passt sie zu den Phänomenen und den Zielen der Erkenntnis.

Das ist der erste Punkt, wo die Fake News auch aus konstruktivistischer Sicht ihre Fakeness zeigen. Wer die Hypothese hat, er könne fliegen, wird nach seinem ersten Start vom Penthouse eines Hochhauses spätestens beim Aufklatschen auf den Boden (der Tatsachen) feststellen können, dass seine Hypothese falsifiziert ist. Man kann aus konstruktivistischer Sicht zwar nicht sagen, welche Aussagen eine ewige Wahrheit beschreiben, aber man kann durchaus sagen, was Quatsch und unwahr ist. Insofern fügt sich der radikale Konstruktivismus in die Qualitätskriterien etablierter empirischer Wissenschaften...

Das beginnt schon bei den Fakten, die auch aus konstruktivistischer Sicht nicht beliebig („alternativ“) feststellbar sind: Jeder Beobachter steht zwar vor der Frage, worauf bzw. auf welche Phänomene er seine Aufmerksamkeit richtet, aber wenn es um die Frage Fakt oder Fiktion geht, dann besteht aus konstruktivistischer Sicht die Möglichkeit der Objektivierung darin, dass unterschiedliche Beobachter sich über die Fokussierung der Aufmerksamkeit (=Selektion der Phänomene), die Selektion der Beobachtungsmethode, die Kriterien der Bewertung (z.B. Messmethoden) und die Selektion der Erklärungsansätze (=Theoriearchitektur) für die beobachteten Phänomene einigen. Wenn das geschehen ist, dann kann man sich auf wissenschaftlich relevante „Wahrheiten“ einigen, die allerdings – das ist ein elementarer Bestandteil des Verfahrens – implizit (wie Südfrüchte) mit einem Verfallsdatum versehen sind (bis andere Beobachtungsmethoden, Theorien etc. zu anderen Aussagen kommen, die dann ebenso „objektiviert“ werden können/müssen).

Für sogenannte „Fake News“ ist da kein Platz.

Noch ein Wort zu den vermeintliche hard und soft facts. Hier scheint mir die Zuschreibung der Eigenschaften zu den Fakten problematisch. Man kann aber, das ist wichtig, sehr wohl unterscheiden, dass es Unterschiede in den Wirkungen von Beobachtungen gibt. Es gibt Gegenstände, wie z.B. Sonne und Sterne bzw. deren Lauf, die sich durch die Tatsache des Beobachtetwerdens wenig beeindrucken lassen. Ich nenne diese Bereiche der Wirklichkeit relativ „harte Realitäten“. Dem stehen relativ „weiche Realitäten“ gegenüber, bei denen die Beobachtung zumindest das Potential hat, den beobachteten Gegenstand zu verändern (=definierendes Merkmal der Härte oder Weichheit von Realitäten).

Wer gesellschaftliche Verhältnisse (z.B. den Zustand der EU) in einer bestimmten Weise beschreibt, verändert sie (zumal diese Beschreibung, wenn sie kommuniziert wird, Element dessen ist, was beschrieben wird). In diesem Bereich wird deutlich, dass der Streit darüber, was denn Fakt und was Fiktion ist, eine politische Auseinandersetzung darstellt. Und in dem Zusammenhang wird auch deutlich, dass die Nutzung von Fake News, die nicht annähernd den o.g. Kriterien der „Objektivierung“ von Aussagen entsprechen, schlicht und einfach als betrügerisch bezeichnet werden kann.

Wenn die Anhänger Donald Trumps sich alle nur denkbare „alternativen Fakten“ aus den Fingern saugen, so sind sie auch aus konstruktivistischer Sicht unethische Gauner oder Idioten (oder beides: idiotische Gauner).