Merckle

Adolf Merckle, Unternehmer aus Blaubeuren, laut Forbes-Magazin einer der reichsten Deutschen, hat sich das Leben genommen... Ein nicht nur die Familie betreffender Todesfall, sondern ein öffentliches Ereignis, da Merckle sein Monaten im Fokus der Presse-Aufmerksamkeit stand.


Ich kannte Herrn Merckle nicht persönlich, so dass alles, was ich hier schreibe, Spekulation ist. Spekulation über einen Spekulanten.


Was man in den Zeitungen über Herrn Merckle lesen konnte und kann, ist widersprüchlich. Einmal wird er von ehemaligen Mitarbeitern als "raffgierig, mißgünstig und nachtragend" charakterisiert, das andere Mal war er "wie ein Vater" zu seinen Mitarbeitern, ein "bescheidener" Mann, der in der Bahn nur zweiter Klasse fuhr.


Wahrscheinlich ist ja an all dem was dran, denn Menschen verhalten sich nun mal widersprüchlich, sie sind nicht aus einem Guss, haben Konflikte und sind voller Widersprüche. Was Herrn Merckle bemerkenswert macht, ist seine Karriere. Innerhalb von 40 Jahren hat er ein Unternehmenskonglomerat aufgebaut, in dem 100 000 Menschen arbeiten, und sein Privatvermögen wurde - vor der Finanzkrise - von dem o.g. Magazin auf 9 Milliarden Euro (oder Dollar, ich weiss nicht mehr genaue) geschätzt.


Solch ein Vermögen kann man nicht durch "ehrliche Arbeit" verdienen. Ich meine damit nicht, dass Herr Merckle unehrlich war, sondern dass sich hier die Möglichkeiten des Kapitalismus und der Marktwirtschaft zeigen. Man kann seinen Lebensunterhalt - und weit mehr als das - erwirtschaften, ohne "im Schweisse seines Angesichts" arbeiten zu müssen. Es ist die große Attraktivität dieses Gesellschaftssystems, dass es zumindest die Chance eröffnet, den narzisstischen wie paradoxen Traum von der Überwindung des Realitätsprinzips zu realisieren. Denn man kann - das ist eine der Optionen menschlicher Intelligenz - spekulieren. Man kann Unterschiede ausnutzen und, z.B. Handel betreiben, indem man Waren, die es an einem Ort in Hülle und Fülle gibt, an einen anderen Ort, wo sie knapp sind, transportiert und mit Gewinn verkauft. Man kann aber auch zeitliche Unterschiede nutzen: heute schon einen Vertrag unterschreiben, morgen VW-Aktien zu einem bestimmten Preis zu liefern. Allerdings ist all das mit dem Risiko des Scheiterns verbunden, denn solche Spekulationen müssen ja nicht aufgehen, wenn - anders als vermutet - morgen die VW-Aktien weit teurer sind als im Kontrakt vereinbart.


Adolf Merckle war offenbar ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Und eine der Regeln, die man aus meiner Sicht formulieren kann, wenn man den Lebensweg erfolgreicher Menschen studiert, lautet: Was sie erfolgreich gemacht hat, läßt sie auch scheitern.


Gründer-Unternehmer sind in der Regel um ihre Autonomie besorgt, sie sind eigensinnig, lassen sich nicht gern beraten, vertrauen mehr sich als allen anderen. Wenn sie auf diese Weise zu Erfolg gekommen sind, dann besteht die Gefahr, dass sie sich für unschlagbar halten. Sie lassen sich von ihrem eigenen Heldenbild verführen.


Nachfolger solcher Gründer-Unternehmer zu werden (als Sohn oder Tochter) ist in der Regel die Hölle. Entweder man muss mit dem Alten konkurrieren, dann hat man den Dauerkonflikt mit ihm -, aber er behält de facto und de jure die Macht im Unternehmen. Oder man passt sich an und ordnet sich ihm, der meist autokratisch herrscht, unter, dann wird man von ihm nicht ernst genommen.


Merckle hat seinen Sohn wegen Erfolglosigkeit aus dem Unternehmen verbannt. Ich habe mal einen Vortrag des Sohns, als der noch Chef von Ratiopharm war, gehört, und er schien viele gute Ideen zu haben. Wie sein Erfolg dabei und damit war, kann ich nicht beurteilen. Der Papa hat ihn offenbar für inkompetent gehalten - was den Sohn zu wenig netten Äußerungen im Spiegel veranlasst hat. Hier gab es offensichtlich einen familiären Konflikt.


Dass Merckle sich umgebracht hat, wundert mich nicht. Wer sich sein Leben lang als jemand erlebt hat, der entscheidet und gestaltet, kann es mit seiner Identität meist nicht vereinbaren, sich fremden, größeren Mächten (den Banken) ausgeliefert zu sehen. Dass Merckle sich verzockt hat, als er mit VW-Aktien spekuliert hat (man spricht von 1 Milliarde Euro Verlust), muss ja schon kränkend genug gewesen sein. Aber nun irgendwelchen mittelmäßigen Bankbeamten ausgeliefert zu sein, das war sicher zu viel. Und den "inkompetenten" Söhnen gegenüber auch noch als Verlierer dazustehen, das war narzisstisch wahrscheinlich nicht zu verkraften.


Es ist eine Frage der Ehre, zu akzeptieren oder nicht zu akzeptieren, wenn bzw. dass andere das Gesetz des Handelns bestimmen. Ein letzter Sieg, ein autonomer Akt eines Menschen, der nicht andere über sich und sein Leben entscheiden lässt. Konsequent bis zur letzten Minute.